Eine Krone für Alexander (German Edition)
von
Samothrake. Auch sie wollte ich nicht wirklich verstehen .
„Offenbar nicht.“ Ein Zucken um Hephaistions Oberlippe, wie
die Andeutung eines Lächelns. „Aber ich kenne dich. Ich kenne deine Arroganz
und deine Wutanfälle, deine Gier nach Macht und Ruhm. Aber auch deine
Großherzigkeit, deinen Sinn für Gerechtigkeit, deine Fähigkeit zum Mitfühlen.
Ich weiß, du hast genügend Mut und Weisheit und auch den guten Willen, um die
Dämonen zu überwinden. Und außerdem …“
Hephaistion beugte sich vor und hob den Ring auf. Mit einem
wehmütigen Lächeln wischte er den Stallschmutz ab und hielt ihn Alexander hin.
„Und außerdem hast du mich, um dir dabei zu helfen. Zu zweit werden wir es
schaffen.“
Alexander nahm den Ring und schloss die Hand darum, fühlte
die Kühle und Glätte des Metalls und das Gewicht des Steins. So viele Könige
vor ihm waren diesen Weg gegangen. Sie alle hatten den Kampf gegen die Dämonen
von Machtgier und Furcht, Stolz und Zorn aufnehmen müssen, und die wenigsten
hatten ihn gewonnen. Er sah Hephaistion in die Augen, der noch immer lächelte,
ein wenig traurig, aber auch voller Wärme und Zuversicht. Es gab noch eine
vierte hilfreiche Gabe, erkannte Alexander, sie war das Geschenk des Menschen
an einen anderen Menschen.
Er schob den Ring auf seinen Finger und stand auf. Als er
die Tür öffnete, fiel ihm das Sonnenlicht in die Augen und blendete ihn.
Plötzlich ein Schatten. Befremdet musterte Admetos die Strohhalme, die in
Alexanders Haar und an seinen Kleidern hängen geblieben waren. Dann weitete
sich sein Blick, als er die Schnittwunde an seinem Hals bemerkte. Seine Hand
fuhr zu dem Schwert an seinem Gürtel.
„Schick einen Boten nach Phakos“, sagte Alexander. „Amyntas,
Sohn des Arrhabaios, soll sofort freigelassen werden. Ihm soll kein Leid geschehen.
Er kann gehen, wohin immer er will.“
13
Kallisthenes war ein mitreißender Redner. Obwohl die meisten
Gäste längst nicht mehr nüchtern waren, lauschten sie seinem Vortrag wie
verzaubert. Und das, obwohl das Gehörte für sie kaum Neues enthalten konnte.
Denn Kallisthenes sprach über eine längst vergangene Zeit: die Zeit, als der
Großkönig eine Million Krieger und tausend Schiffe gegen das Land der Griechen
geführt hatte.
Aristoteles’ Neffe hatte sich in der Mitte des großen Saales
in Positur geworfen, gehüllt in ein hellgelbes Himation. Es war der letzte
Abend vor dem Aufbruch der Armee, und alles, was in Pella Rang und Namen hatte,
hatte sich in den Bankettsälen des Palasts eingefunden, um den Abschied
gebührend zu feiern.
In mitreißenden Worten schilderte Kallisthenes den Freiheitskampf
der Griechen gegen die erdrückende persische Übermacht. Die Heerscharen des
Großkönigs hatten das Land verwüstet, die Städte niedergebrannt, selbst die
Tempel der Götter nicht verschont. Der Kampf schien aussichtslos. Und doch
stellten die Griechen sich ihm, sie kämpften nicht nur für Leben und Heimat,
sondern verteidigten vor allem ihr höchstes Gut: die Freiheit. Bei Marathon und
an den Thermopylen stemmten sie sich dem feindlichen Ansturm entgegen, schlugen
ihn zurück bei Salamis, Plataiai und Mykale. Ihr Sieg war so überwältigend,
dass kaum einer der Geschlagenen seine Heimat wiedersah. Doch die Griechen
hatten ihren Triumph nicht zu nutzen gewusst. Denn nur mit vereinten Kräften
hatten sie ihn errungen, nun aber vergeudeten sie fast hundertfünfzig Jahre
ihre Kräfte im Bruderkrieg – bis das Land, das sie einst unter so großen Opfern
vor den Angreifern gerettet hatten, in Schutt und Asche lag. Und noch immer
lauerte drüben in Asien der gemeinsame Erbfeind und bedrohte ihrer aller
Freiheit. Doch dann war Philipp gekommen. Wie ein neuer Agamemnon hatte er die
zerstrittenen Griechen geeint, hatte sie schließlich gegen den persischen
Erbfeind führen wollen.
„Endlich ist der Zeitpunkt gekommen, auf den wir so lange
gewartet haben!“, leitete Kallisthenes zur erwartungsfrohen Gegenwart über.
„Endlich werden wir Vergeltung üben für das Unrecht, das uns die Barbaren zugefügt
haben. Und endlich werden wir auch unsere Landsleute drüben in Ionien vom
despotischen Joch des Großkönigs befreien. Morgen brechen wir auf! Doch nicht
unter der Führung eines neuen Agamemnon – nein, unter der eines neuen
Achilleus: unseres jungen Königs Alexander, Philipps Sohn!“
Begeisterter Beifall brach aus. Kallisthenes verbeugte sich
geschmeichelt nach allen Seiten. Alexander dankte ihm für seine Rede
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