Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Krone für Alexander (German Edition)

Eine Krone für Alexander (German Edition)

Titel: Eine Krone für Alexander (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elfriede Fuchs
Vom Netzwerk:
Ring.
    „Lass uns nach Westen gehen“, fuhr Alexander fort, „nach Sizilien
oder Italien oder wohin immer du willst. Irgendwohin, wo uns niemand kennt. Wir
können zusammen ein neues Leben beginnen und alles hinter uns lassen.“
    Während er sprach, empfand er ein Gefühl der Erleichterung,
als sei eine unerträgliche Last von ihm abgefallen. Eine Last, die er auf
seinem Nacken gespürt hatte, so lange er denken konnte. Und zugleich fühlte er
einen Verlust, fast wie eine körperliche Verletzung, einen Schmerz, der ihm den
Atem raubte.
    Nur mit großer Mühe schien Hephaistion seinen Blick von dem
Ring, der zwischen ihnen auf dem Boden lag, abwenden zu können. Langsam
schüttelte er den Kopf. Er schluckte. „Das geht nicht. Du bist König. Du hast
eine Verantwortung.“
    „Verantwortung?“ Alexander lachte verächtlich. „Lass Antipatros
sie tragen, er wird sich darum reißen. Soll Arrhidaios unter ihm König sein.
Oder meinetwegen sein heiß geliebter Schwiegersohn.“
    „Du weißt, das ist unmöglich.“
    Plötzlich verlor Alexander die Geduld. Er würde dem Schmerz
nicht mehr lange standhalten können. Fast übermächtig war der Zwang, seinen
Entschluss rückgängig zu machen, den Ring wieder an sich zu nehmen, weiterzumachen
wie bisher. Und endgültig in den Abgrund zu springen. „Warum sagst du das?
Zusammen fortgehen, fremde Länder sehen, nur du und ich – das wolltest du doch
immer!“
    „Ja, das wollte ich“, erwiderte Hephaistion, ebenfalls
ungehalten. Offenbar kämpfte auch er seinen eigenen, einsamen Kampf. „Aber du
nicht. Du wolltest immer unbedingt König werden, für dich gab es nichts
Wichtigeres im Leben. Jetzt bist du es – also trage gefälligst die Konsequenzen!
Du kannst dich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen. Es ist zu spät davonzulaufen.
Und selbst wenn nicht …“ Er zögerte, und als er weitersprach, war sein Blick
nach innen gerichtet. „Niemand kann vor dem Leben davonlaufen, dass er für sich
gewählt hat, das er als das einzig richtige für sich erkannt hat. Auch du
nicht. Selbst wenn du es könntest, würdest du es nicht tun, weil du es im
Grunde nicht willst . Und wenn du wolltest, würde es dir nicht gelingen,
weil du dadurch deine Bestimmung missachten würdest. Es gibt keinen Ausweg aus
diesem Dilemma.“
    Alexander spürte, dass Hephaistion nicht nur über ihn
sprach, sondern genauso über sich selbst. Er blickte zu dem Ring auf dem Boden
und wieder zurück zu seinem Freund. „Ich habe keine Wahl. Eben noch war ich
fest entschlossen, ein Blutbad anzurichten. Ich hätte es getan, wenn du mir
nicht die Augen geöffnet hättest. Irgendwann werde ich wieder so weit sein. Und
wieder. Und wieder. Eines Tages würde ich dem Drang nachgeben.“
    Wut, Hochmut, Angst. Der übermächtige, alles überwältigende
Wunsch, der unbedingte Wille, König zu sein, zu welchem Preis aus immer. Drachensaat, dachte Alexander ernüchtert. Wie die Zähne des Drachen, die Kadmos in die Erde
gesät hatte. Die Gier nach Macht war tief in ihm auf fruchtbaren Boden
gefallen. Und die Saat war aufgegangen.
    „Der Ring ist verflucht“, sagte er laut. „Das Königtum ist
verflucht. Wer sich beiden verschreibt, ist es ebenfalls. Er ist dazu verdammt,
zu töten oder getötet zu werden, Schuld auf sich zu laden oder unterzugehen.
Aristoteles hat versucht, es mir zu erklären, aber ich wollte ihn nicht verstehen.“
    Hephaistion schüttelte den Kopf. „Du hast die Macht, aus
diesem Zwang auszubrechen. Dem Drang zu widerstehen. Erinnerst du dich, als wir
das erste Mal in Theben waren? Es war nach der Schlacht bei Chaironeia. Am Grab
des Iolaos sprachen wir über den Wahnsinn des Herakles.“
    Wieder einmal hatte Alexander das Gefühl, als ob sein Freund
seine Gedanken gelesen hatte. Dass er seine innersten Gefühle kannte wie seine
eigenen.
    Hephaistion fuhr fort: „Du sagtest, jeder Mensch habe eine
Wahl, er könne sich dafür entscheiden, gegen die bösen Geister, die von ihm
Besitz ergreifen wollen, anzukämpfen. Und dass es drei Gaben gibt, die ihm bei
seinem Kampf helfen: der Mut, den man braucht, um das Richtige zu tun; zuvor
die Weisheit, es zu erkennen, und zuallererst der Wille dazu.“
    „Mut, Weisheit, guter Wille“, wiederholte Alexander bitter. Die
ersten beiden sind Gaben der Götter an die Menschen, doch der gute Wille ist
ein Geschenk des Menschen an sich selbst. „Offenbar besitze ich von diesen
Gaben längst nicht so viel, wie ich immer dachte.“ Die Seherin

Weitere Kostenlose Bücher