Eine Krone für Alexander (German Edition)
zu sehen war, doch längst nicht jedem war klar, dass er sich
geistig noch immer auf dem Stand eines Sechsjährigen befand.
Trotzdem unternahm Menandros einmal einen Versuch, seinem
Schützling den Umgang mit Waffen nahezubringen. Mehr aus Zufall entdeckte
Alexander die beiden in einer abgelegenen Ecke des Gymnasions und sah ihnen
eine Zeit lang zu. Arrhidaios bewegte sich ungeschickt, ließ immer wieder sein
hölzernes Übungsschwert fallen und stand mit hängenden Armen da.
Unglücklicherweise bemerkten ihn früher oder später auch andere und machten
sich über ihn lustig. Schließlich gab Menandros auf. Arrhidaios war ein Sohn
des Königs, und seine Defizite sollten nicht vor aller Augen zur Schau gestellt
werden.
„Ich weiß auch nicht, was in Menandros gefahren ist“, sagte
Leonidas später, als er glaubte, dass Alexander ihn nicht hörte.
Balakros mutmaßte: „Vielleicht will er nur, dass Arrhidaios
später bei den Xanthika oder in der Heeresversammlung Waffen tragen kann, ohne
sich gleich damit zu erstechen.“
„Schon möglich. Vielleicht war das Ganze Philinnas Idee. Sie
denkt wohl immer noch, die Leute merken nicht, was mit ihrem Sohn los ist.“
Eines Tages rief jemand aufgeregt, im Nachbarhof seien echte
Amazonen zu sehen. Da Balakros gerade außer Sichtweite war, rannten alle nach
drüben. Dort rotteten sie sich zusammen und starrten mit offenen Mündern die
beiden weiblichen Gestalten an, die sich gerade einen Übungskampf lieferten.
Sie hatten echte Schwerter, keine aus Holz, außerdem Schilde und auf Hochglanz
polierte Rüstungen. Darunter trugen sie, wie bei Soldaten eben üblich, einen
kurzen Chiton. Die Beine waren bis zu den Knien nackt, und den Jungen fielen ob
des ungewohnten Anblicks fast die Augen aus dem Kopf. Alexander ebenso, aber
aus anderen Gründen. Denn in einer der beiden Gestalten erkannte er seine
Halbschwester Kynna, die andere war ihre Mutter Audata.
Das Publikum johlte und pfiff. Audata war für ihr Alter gut
in Form, und man konnte sehen, dass sie ihrer Tochter eine Menge beigebracht hatte.
Einige der Zuschauer begannen, anzügliche Witze zu reißen. Kynna streckte ihnen
die Zunge heraus, wenn ihre Mutter nicht hinsah. Schließlich wurde es Audata zu
bunt. Sie warf Schwert und Schild in den Sand, baute sich vor dem lärmenden
Publikum auf, die Hände in die Hüften gestemmt, und brüllte mit ihrem
fremdartigen Akzent: „Was glotzt ihrr so blöd? Ihrr seid sehrr alberrn!
Alexanderr, sorrge dafürr, dass deine Schwesterr in Rruhe trrainieren kann,
ohne von deinen blöden Frreunden belästigt zu werrden!“
„Wir sollten gehen“, murmelte Alexander.
„Warum denn? Jetzt wird es doch erst spannend“, brüllten die
anderen. „Vielleicht rutscht ihnen ja mal der Chiton hoch, und wir bekommen
richtig was zu sehen!“
In diesem Augenblick erschien Balakros auf der Bildfläche.
Er riss dem lautesten Schreihals das Übungsschwert aus der Hand und zog es ihm
mit der Breitseite über die Schwarte. „Freche Lümmels! Habt ihr nichts Besseres
zu tun? Macht, dass ihr an eure Plätze kommt, aber flott!“, brüllte er und
scheuchte die Jungen zurück, wobei er großzügig Hiebe mit dem Schwert
austeilte. Glücklicherweise war es aus Holz und nicht echt. „Heute will ich von
euch Flegeln keinen Blödsinn mehr sehen! Keiner macht einen Piep, oder ich
lasse euch strafexerzieren, bis ihr umfallt!“
Abends beschwerte Balakros sich lautstark bei Leonidas. „Unter
diesen Umständen ist kein richtiges Trainieren möglich“, hörte Alexander ihn
schimpfen. „Wie soll ich mit den Bengels ernsthaft arbeiten, wenn sie dauernd
von so einem Affenzirkus abgelenkt werden? Erst die Sache mit Arrhidaios
neulich und heute diese übergeschnappten Frauenspersonen! Wofür halten die
sich? Für Amazonen?“
Leonidas ließ ihn eine Zeit lang schimpfen, dann erklärte
er, er könne leider nichts unternehmen. Audata lasse sich keine Vorschriften
machen, immerhin sei sie eine Königin.
„Heute hat sie aber nicht wie eine Königin ausgesehen“,
schnarrte Balakros, „als die Lümmels ihr sabbernd auf die Beine geglotzt haben!
Wie kann sie sich nur so zur Schau stellen? Und ihre Tochter – denkt sie denn
gar nicht an den Ruf des armen Mädchens?“
„Soweit ich gehört habe, haben die beiden aber eine gute
Figur gemacht“, bemerkte Leonidas mit einer gewissen Anerkennung. „Übrigens
treiben in Sparta auch die Mädchen Sport, damit sie stark und kräftig werden
und später einmal gesunde
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