Eine Krone für Alexander (German Edition)
auch einmal ein bisschen Spaß haben dürfen.“ Sie
lachte. „Deshalb ist das Fest bei den Frauen auch so beliebt. Soweit ich weiß,
ist Kassandros’ Mutter immer mit von der Partie.“
„Wie kommen die Leute dann auf solche Sachen?“
Lanika seufzte wieder. „Die Riten der Mänaden sind geheim.
Die Männer wissen nicht, was dabei vor sich geht, und deshalb stellen sie sich
in ihrer Fantasie die wildesten Dinge vor.“
„Etwa, dass die Mänaden Männer bei lebendigem Leib zerreißen?“
Lanika lachte noch lauter. „Was denken die Männer denn nun,
was die Mänaden mit ihnen anstellen sollen? Es mit ihnen treiben oder sie in
Stücke reißen? Oder vielleicht treiben sie es ja zuerst mit ihnen, und danach
zerreißen sie sie.“
Alexander fand das alles durchaus nicht lustig. „Euripides
hat in seinem Stück beschrieben, wie die Königin Agaue ihren eigenen Sohn
zerrissen hat.“
„Das ist nur ein Theaterstück. Euripides hat es verfasst,
als er am Hof von König Archelaos lebte. Er soll ein Frauenhasser gewesen sein
– man muss nur mal seine Stücke lesen! In Makedonien sind die Frauen wohl nicht
so brav und unterwürfig, wie er es aus Athen gewohnt war. Sicher hat er nur zu
gern all den Quatsch geglaubt, den die Männer hier ihm über die Mänaden aufgetischt
haben.“
Diese Erklärung leuchtete Alexander ein. „Warum lasst ihr
die Männer nicht einfach mitmachen? Dann wüssten sie doch, dass ihr nichts
Schlimmes tut, und es gäbe keine wilden Gerüchte mehr.“
Lanika lachte fröhlich. „Keine schlechte Idee! Wenn die Männer
wüssten, wie harmlos und langweilig es im Vergleich zu ihren eigenen Gelagen
bei uns zugeht, wären sie wahrscheinlich enttäuscht. Aber es ist nun mal
verboten. Eigentlich hättest du damals gar nicht mitkommen dürfen. Kinder sind
bei den Riten nicht erlaubt, schon gar keine Jungen. Aber deine Mutter hat sich
ihre Regeln schon immer selbst gemacht, und viele stören sich daran.“
„Reden sie deshalb so schlecht über sie?“
„Vielleicht. Die Leute mögen es nicht, wenn man sich über
die Regeln hinwegsetzt. Deine Mutter ist eine fromme Frau, aber sie beschränkt
sich nicht auf die etablierten Kulte. Sie verehrt auch Gottheiten, die manche
Leute … fragwürdig finden.“
„Wie Hekate?“
„Ja.“ Lanika hatte ihre Stimme gesenkt. „Olympias ist außerdem
in viele Mysterienkulte eingeweiht, wie die des Orpheus oder der Kabiren. Erinnerst
du dich noch an sie?“
„Ja“, flüsterte er, „die Großen Götter …“
„Pst, nenne ihre Namen nicht! Ihr Kult ist geheim, nur Eingeweihte
kennen ihre Namen. Die Kabiren wurden schon von den Pelasgern verehrt, die
lange vor uns in Griechenland lebten. Deshalb wirken sie auf uns auch so fremd
und unheimlich.“
Lanika wuschelte ihm durch das Haar. „Das nächste Mal, wenn
Kassandros etwas Gemeines sagt, ignoriere ihn einfach. Oder zahl es ihm heim,
indem du besser bist als er. Das ist für den die schlimmste Strafe.“
Der Vorfall hatte auch eine gute Seite, dachte Alexander.
Vielleicht würde Antipatros nun endlich aufhören, ihm Kassandros unbedingt als
Freund aufs Auge drücken zu wollen.
17
Alexander duckte sich unter dem Gatter durch und streifte zwischen
den Pferden umher. Es waren schöne Tiere, robust, aber hochbeinig, von deutlich
besserer Qualität als die Armeepferde sonst. Eine Schimmelstute schnaubte und
knabberte fordernd an seiner Hand. Er tätschelte ihr den Hals und fütterte sie
mit einem der Äpfel, die er in einem Ledersack mitgebracht hatte.
„Gefällt sie dir?“
Ein Stalljunge schlüpfte hinter einem großen Braunen hervor
und wies mit dem Striegel auf die Pferde. „Die gehören alle meinem Vater. Es
sind die besten, die du weit und breit findest.“ Dann wandte er sich wieder dem
Braunen zu und fuhr fort, sein Fell zu bearbeiten.
Seinem Vater? Der Junge schien in Alexanders Alter zu sein,
war aber etwas größer. Dunkles Haar fiel in zerzausten Wellen um seinen Kopf.
Er trug einen abgetragenen, nicht eben sauberen Chiton. Gesicht und Arme waren
voller Dreckschmierer. Er sah wie ein gewöhnlicher Stalljunge aus, doch wenn
sein Vater der Besitzer dieser Pferde war, konnte er das nicht sein.
„Habt ihr denn keine Stalljungen, die diese Arbeit machen
können?“ Es war Alexander herausgerutscht, ehe er es verhindern konnte.
„Doch, aber bei uns muss jeder mit anpacken.“ Offenbar
störte sich der Fremde nicht an der taktlosen Frage. „Warum auch nicht? Ist
doch eine anständige Arbeit,
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