Eine Krone für Alexander (German Edition)
nicht anerkennen wollen.“
„Wie kommt Dionysos denn wieder aus dem Kerker heraus?“,
fragte Kleopatra.
„Er lässt die Erde beben, die Tore springen auf, und die Ketten
fallen von ihm ab.“
„Toll“, fand Kleopatra.
„Und wie wird Pentheus bestraft?“, fragte Alexander.
„Warte ab! Wenn ich dir jetzt schon alles verrate, verderbe
ich dir ja die ganze Spannung.“
„Ich will aber wissen, wie es weitergeht!“, quengelte Kleopatra.
„Sei still, Kleopatra!“
„Aber ich darf doch nicht mit ins Theater! Wie soll ich dann
wissen, wie es ausgeht?“
„Sei jetzt still, oder du gehst sofort ins Bett!“
Kleopatra war den Tränen nahe.
Alexander legte ihr tröstend den Arm um die Schultern. „Nachher erzähle ich dir
alles. Ich verspreche es!“
Das Theater von Aigai war bis zum Bersten mit festlich
gekleideten Menschen gefüllt und hallte wider von ihrem erwartungsvollen
Gemurmel. Neugierig musterte Alexander über das Rund der Orchestra hinweg die
bunt bemalten Kulissen, die den Königspalast von Theben darstellen sollten.
Beifall brandete auf, als der König mit seiner Eskorte von Pezhetairen das
Theater betrat. Gleich nach dem Ende der Festlichkeiten würde er mit seinem
Heer nach Illyrien aufbrechen, zu einem Feldzug gegen einen renitenten König
namens Pleuratos. Philipp winkte huldvoll in die Menge, schritt zu seinem Platz
und setzte sich. Dann wurde es still, und die Vorstellung konnte beginnen.
Wie alle seine Altersgenossen war Alexander beeindruckt von
den Kulissen und Kostümen, von den farbenfrohen Gewändern, den wallenden Perücken
und den Masken, die die Gesichter der Schauspieler verdeckten. Die Mänaden, die
den Chor bildeten und der Tragödie ihren Namen gaben, ähnelten den Frauen,
deren Fest Alexander als Kind miterlebt hatte: Sie trugen Efeukränze im offenen
Haar, waren mit Tierfellen bekleidet und schüttelten ihre Fackeln und
Thyrsos-Stäbe.
Gespannt verfolgte er, wie Dionysos Pentheus dazu verleitet,
sich als Frau zu verkleiden, um die Mänaden bei ihrem geheimnisvollen Treiben
in den Bergen zu beobachten. Doch Pentheus wird entdeckt. Im Wahn halten die
Mänaden ihn für ein wildes Tier und reißen ihn in Stücke. Das blutrünstige
Geschehen wurde zwar nicht auf offener Bühne dargestellt, doch von einem Boten
in allen grausigen Einzelheiten geschildert: wie die wahnsinnigen Frauen
Pentheus Arme und Beine ausreißen, wie sie das Fleisch von seinen Knochen
zerren und es roh hinunterschlingen. Zum Schluss erschien die Königin Agaue
selbst auf der Bühne, blutbesudelt und den Kopf ihres Sohnes auf einer Stange
vor sich her tragend – sie hält ihn für den eines Löwen. Doch dann erwacht sie
aus ihrem Wahn und erkennt die grauenvolle Wahrheit.
Wie die anderen Zuschauer wurde Alexander zutiefst von dem
Geschehen auf der Bühne berührt. Er fragte sich jedoch, wie er seiner kleinen
Schwester erzählen sollte, was er gesehen hatte.
16
Als
Alexander elf Jahre alt wurde, trat er in das Gymnasion des Palasts ein,
Sportschule und Übungsplatz für dessen Bewohner. Wie alle Jungen seines Alters
verbrachte er von nun an einen großen Teil seiner Zeit mit Laufen und Springen,
Ringen und anderen sportlichen Übungen, nackt, verschwitzt und mit dicken
Schichten von Öl und Sand verkrustet. Hatte ihn bislang immer Leonidas durch
die Gegend gescheucht, so oblag diese Aufgabe nun Balakros, einem pensionierten
Offizier mit durchdringender Kommandostimme und dazu passendem Kasernenhofton.
Manchmal gab er seinen Schützlingen Übungswaffen aus Holz, die auf ihre Größe
abgestimmt waren. Balakros brüllte und schimpfte, kritisierte und korrigierte,
bis jede Bewegung saß, kurz, er drillte seine Schüler nach allen Regeln der
Kunst.
Alexander machte das alles nichts aus. Im Nachhinein
offenbarte Leonidas’ Schinderei nun ihre guten Seiten, denn was immer Balakros
Alexander abverlangte: Es konnte auf keinen Fall schlimmer sein als das, was er
von Leonidas bereits gewohnt war. Einige der anderen Jungen beklagten sich
jedoch lautstark – bis sie merkten, dass jeder, der jammerte, Extraübungen aufgebrummt
bekam.
Ein paar Mal sah Alexander im Gymnasion auch seinen
Halbbruder. Arrhidaios war nun zwölf Jahre alt und wirkte auf den ersten Blick
ganz normal. Sein Erzieher Menandros verhinderte, dass Fremde ihm zu nahe kamen,
und schaffte ihn außer Sichtweite, sobald sein Verhalten auffällig zu werden
begann. Viele Leute wunderten sich zwar, dass Arrhidaios so selten in der
Öffentlichkeit
Weitere Kostenlose Bücher