Eine Krone für Alexander (German Edition)
Nikesipolis könnte
alles ändern. Er wäre eine Gefahr für dich, nicht nur für deinen Anspruch auf
die Thronfolge, sondern auch für dein Leben!“
Plötzlich musste Alexander an die alten Geschichten denken,
die Eurydika ihm erzählt hatte – wie Archelaos, der Sohn des Königs Perdikkas,
enterbt worden war, nachdem sein Vater noch einmal geheiratet hatte. Und wie
sein Namensvetter, Eurydikas Stiefsohn, das Gleiche widerfahren war; er und
seine Brüder hatten sogar ihr Leben verloren – durch Philipp, ihren eigenen
Halbbruder. Töten oder getötet werden, das schien das Gesetz der Familie zu
sein. Alexanders Körper wurde starr, und als könne sie sein Entsetzen fühlen,
presste Olympias ihn an sich, so eng, dass ihm fast der Atem ausging.
„Glaub mir, das werde ich nicht
zulassen!“, beteuerte sie. „Ich werde alles tun, um dich zu beschützen. Philipp
kannst du nicht trauen. Ich bin die Einzige, der du vertrauen kannst.“
Im nächsten Monat traf Nikesipolis in Pella ein und bezog
eigens für sie eingerichtete Räume im Palast. Philipps neueste Erwerbung war
jung und hübsch, mit lockigen, rotbraunen Haaren, grünen Augen und einem Meer
goldener Sommersprossen auf der Nase. Alexander kannte das alles deshalb so
genau, weil er Gelegenheit hatte, es aus nächster Nähe zu bewundern, als er
Nikesipolis in einem Säulengang begegnete.
„Du bist sicher der kleine Alexander!“, flötete sie.
Da er immerhin schon zwölf Jahre alt war und sich durchaus
nicht mehr klein fühlte, war er von ihrer Überschwänglichkeit zunächst nicht
angetan.
„Was für ein hübscher Junge!“
Lächelnd beugte sie sich zu ihm herab (sie war eine ziemlich
große Frau) und griff nach seiner Hand, und er wollte nicht so unhöflich sein,
sie ihr zu entziehen. Sie strahlte ihn an und duftete nach Blumen. Ganz gegen
seinen Willen fand er sie anziehend, und er begann sich zu fragen, ob diese
Heirat wirklich nur politische Hintergründe hatte. Jedenfalls konnte er gut
nachvollziehen, dass sein Vater von dieser Nikesipolis hingerissen war.
Natürlich erfuhr seine Mutter,
dass er mit ihr gesprochen hatte, und machte ihm Vorwürfe, er falle ihr in den
Rücken. Nikesipolis wurde bald schwanger. Als es bekannt wurde, bekam Olympias
einen Wutanfall, der genauso schlimm war wie der, als sie von der Hochzeit
erfahren hatte.
Er erwischte Kleopatra, als sie mit Spinnwirtel, Rocken und
einem Korb ungesponnener Wolle im Innenhof saß. Sie mochte Handarbeiten nicht,
und der Faden, den sie zustande gebracht hatte, war ungleichmäßig und knotig.
„Ich habe ein Geschenk für dich.“
Er setzte sich zu ihr und reichte ihr die Puppe. Es war
nicht so einfach gewesen, sie auf dem Markt in der Stadt zu besorgen, ohne dass
jemand davon erfuhr. Kleopatra nahm das Geschenk entgegen und legte es kommentarlos
in den Korb zu der Wolle. Ihre prosaische Reaktion brachte ihn aus dem Konzept,
doch er bot all seinen Charme auf und lächelte. „Ich muss dich etwas fragen.
Etwas, was sehr wichtig ist. Und du bist die Einzige, die mir helfen kann.“
Kleopatra sah mit leichtem Interesse von ihrer Arbeit auf.
„Es ist wegen Mutter“, flüsterte er. „Tut sie in letzter
Zeit etwas Ungewöhnliches?“
„Kommt drauf an, was du unter ungewöhnlich verstehst.“
„Du weißt, was ich meine. Seltsame Rituale in der Nacht. Ich
habe sie früher selbst gesehen. Du musst es auch mitbekommen.“
Kleopatra zuckte die Schultern. „Nachts ist manchmal Licht
unten, und man hört ein seltsames Singen. Morgens sieht man dann, dass Feuer
auf dem Herd gebrannt hat. Aber was in der Nacht passiert, weiß ich nicht. Ich
stehe niemals auf.“
„Macht sie es auch in letzter Zeit?“
Sie sah an ihm vorbei. Obwohl sie erst zehn Jahre alt war,
war ihre Miene undurchdringlich. Schließlich nickte sie widerwillig, ehe sie
sich wieder ihrer Arbeit zuwandte. „Wenn du wissen willst, was sie macht, warum
fragst du sie nicht selbst? Schließlich bist du doch ihr Liebling.“
„Wieso ich? Ich bin die meiste Zeit gar nicht da. Aber du
bist immer bei ihr.“
„Immer wenn du bei uns auftauchst, kümmert sie sich nur um
dich. Alexander dies, Alexander das. Ich bin dann nur Luft für sie. Und wenn du
nicht da bist, redet sie auch dauernd nur von dir.“
Er legte den Arm um ihre Schultern. „Das ist doch nur, weil
sie mich so selten sieht. Wenn es umgekehrt wäre, wenn du so selten da wärest
und sie mich jeden Tag sehen würde, dann würde sie ständig nur von dir
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