Eine Krone für Alexander (German Edition)
hinaussprang.
Nun saßen sie in der Frühlingssonne und genossen die warme Luft, die allmählich
die Kälte des Winters verdrängte. Seite an Seite sahen sie hinaus auf das
tiefblaue Wasser.
Hephaistion fuhr fort: „Und wenn man stattdessen nach Westen
fährt, erreicht man Sizilien und Italien und Iberien.“
„Und dahinter die Säulen des Herakles und den westlichen
Okeanos.“
Hephaistion hatte sich den Grashalm wieder in den Mund
gesteckt. „Hat Onesikritos ihn inzwischen gesehen, deinen Okeanos?“
„Wieso meinen Okeanos?“, lachte
Alexander. „Ich weiß nicht. Vielleicht.“
„Jedenfalls kommt er weit herum.“ Hephaistion spuckte den
Grashalm endgültig aus und legte die Arme um die angezogenen Knie.
Alexander warf ihm einen Blick von der Seite zu. „Eines Tages
werden wir auch etwas von der Welt zu sehen bekommen. Glaub mir, wir werden
nicht unser ganzes Leben hier in Pella herumsitzen.“
Hephaistion zuckte mit den Achseln. „Wenn wir erwachsen
sind, werden wir Soldaten.“
„Als Soldat kommt man weit herum.“
„Nur in Griechenland oder vielleicht im Norden, in Thrakien
oder Illyrien oder wo immer der König gerade Krieg führt. Aber nicht in ferne
Länder. Länder, in denen es wirklich etwas zu sehen gibt, wie Ägypten oder
Sizilien.“
„Wer weiß, was mein Vater noch alles vorhat“, orakelte Alexander.
„Vielleicht kommen wir weiter, als du ahnst.“
„Jedenfalls wirst du eines Tages König sein, und als König
sitzt du auf jeden Fall fest. Du kannst nicht einfach auf ein Schiff steigen
und nach Sizilien fahren.“
„Was willst du denn in Sizilien?“
„Nichts. Ich will damit nur sagen, dass ich gern mehr von
der Welt sehen würde.“
„Du könntest allein fahren.“
„Nicht ohne dich.“ Hephaistion hob einen Kieselstein auf und
warf ihn ins Wasser. „Und außerdem würde ich gern etwas lernen, bei berühmten
Philosophen zum Beispiel.“
„Wenn wir erst bei den Königsjungen sind, kannst du das. Der
König heuert die besten Lehrer für sie an.“
„Ich meine die richtig berühmten
Philosophen, wie die an Platons Akademie in Athen. Leider ist er selbst ja
schon tot, aber er soll Schüler haben, die fast so ebenso berühmt sind wie er
selbst, wie Speusippos oder Xenokrates.“
„Freust du dich denn nicht auf die Königsjungen?“
„Doch, natürlich.“ Hephaistion warf einen weiteren Kiesel.
„Das heißt, sofern ich überhaupt aufgenommen werde. Wahrscheinlich ist meine
Familie nicht bedeutend genug.“
„Du wirst ganz bestimmt aufgenommen. Dann bist du die ganze
Zeit in Pella, nicht nur ein- oder zweimal im Monat so wie jetzt. Wir werden
den ganzen Tag zusammen sein und alles gemeinsam machen. Würde dir das nicht
gefallen?“
Alexander sah seinen Freund von der Seite an. Hephaistion
wandte den Kopf und erwiderte den Blick. Einen Augenblick lächelten sie
einander an.
„Doch. Das wäre schön“, sagte Hephaistion. Dann sah er
wieder geradeaus und strich sich die Haare aus der Stirn.
Auch Alexander blickte wieder auf den See. „Wer weiß, vielleicht
gefällt dir das Soldatendasein ja. Vielleicht machst du Karriere und wirst ein
großer Feldherr.“
Hephaistion lachte. „Ich weiß, dass ich wie alle Männer in
Makedonien Soldat werden muss, aber ich glaube nicht, dass ich darin besonders
gut sein werde. Dass ich ein großer Feldherr werde, ist ungefähr so
wahrscheinlich, wie dass ich die Tochter des Großkönigs heirate.“
28
Philipp befand sich noch immer auf dem Feldzug in Epeiros,
als in Pella eine Gesandtschaft aus Persien eintraf. Während die Gesandten auf
seine Rückkehr warteten, lud Artabazos sie in sein Haus ein, um zu sondieren,
wie es um seine heiß ersehnte Begnadigung stand. Alexander beschloss, die
Gelegenheit zu nutzen, aus erster Hand an Informationen über den Großkönig und
sein Reich zu kommen. Also ließ er sich von einem Diener anmelden und wurde in
den Garten geführt.
Artabazos sah ihm überrascht entgegen. Offenbar war er nicht
sicher, was er von Alexanders unverhofftem Auftauchen halten sollte, doch er bemühte
sich höflich, sich seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Würdevoll erhob
er sich von seinem Platz und verneigte sich vor Alexander (was er sonst niemals
tat). „Mein Prinz, du ehrst mich mit deinem Besuch in meinem bescheidenen
Heim.“ Dann stellte er ihn den Gesandten vor als „Prinz Alexander, Sohn und
Erbe König Philipps“.
Die Gesandten hatten sich ebenfalls erhoben und verbeugten
sich
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