Eine Krone für Alexander (German Edition)
hinziehen, und die ganze Zeit sitzen
wir uns auf den harten Stufen hier den Hintern platt.“
Spöttisch bemerkte Harpalos: „Ihr hättet euch Kissen
mitbringen sollen.“
„Stellt euch nicht so an“, tadelte Marsyas. „Die Athener müssen
sich an den Dionysien an drei Tagen hintereinander jeweils eine Trilogie
ansehen. Macht also insgesamt neun Tragödien.“
„Du interessierst dich eben nur für Klamauk.“ Erigyios beugte
sich vor, langte an Langaros vorbei und verpasste Proteas einen Klaps auf den
Kopf. Daraufhin stieß Langaros ihm den Ellenbogen in die Rippen, um seinerseits
einen Puff von Laomedon einzustecken. Hephaistion verdrehte die Augen, während
Alexander tat, als merke er nichts.
Marsyas, der gern mit seinen literarischen Interessen angab,
setzte zu einem seiner gefürchteten Vorträge an. „Ihr habt doch gehört, was
Aristoteles uns erklärt hat: dass eine Trilogie bei Aischylos noch inhaltlich
eine Einheit bildet, erst bei den späteren Tragikern ändert sich das. Wenn man
also etwas von Aischylos aufführen will, dann muss es schon die ganze Trilogie
sein, sonst ergibt die Handlung keinen Sinn.“
„Wieso?“, fragte Proteas. „Die kennen wir doch schon aus der
Ilias, mit der uns Alexander immerzu nervt.“
Harpalos hatte inzwischen nachgedacht und war zu interessanten
Schlüssen gekommen. „Wahrscheinlich ist das der Grund, warum die Athener so
krampfärschig sind: Wenn sie sich an den Dionysien drei Tage lang im Theater
die Hintern platt gesessen haben, reicht ihre miese Laune für den Rest des
Jahres, und dann sind sie genau eingestimmt für Demosthenes’ Hasstiraden.“
Alexander ließ sich vom flegelhaften Verhalten seiner Kameraden
nicht davon abhalten, die Vorstellung zu genießen, in deren Mittelpunkt das
Schicksal seines Vorfahren und Lieblingshelden stand. Wie Proteas gesagt hatte,
barg die Handlung keine großen Überraschungen mehr, doch darauf kam es ihm auch
nicht an. Gebannt folgte er dem Geschehen auf der Bühne, vom Streit zwischen
Achilleus und Agamemnon über den Tod des Patroklos bis hin zu der Nacht, in der
der greise König Priamos ins Lager der Griechen kam, um den Leichnam seines
Sohnes Hektor auszulösen. Aischylos ließ keinen Zweifel aufkommen, dass Patroklos
nicht nur der Freund, sondern auch der Geliebte des Achilleus gewesen war.
Einige der Königsjungen machten an den einschlägigen Stellen Bemerkungen, doch
Alexander war zu ergriffen, um es zur Kenntnis zu nehmen.
Gleich am nächsten Morgen ging Aristoteles mit seinen Schülern
noch einmal hinunter zum Theater, damit sie einen Einblick in die Aufführungstechniken
erhielten. Einer der Schauspieler, ein junger Mann namens Thessalos, führte
ihnen die Kulissen und Kostüme, die Masken und Perücken vor.
„Können wir uns auch mal den Kran ansehen?“, fragte Marsyas.
Thessalos führte sein Publikum ins oberste Stockwerk des
Bühnengebäudes. Der Kran war göttlichen Auftritten vorbehalten, denn Götter
spazierten natürlich nicht einfach ins Geschehen wie gewöhnliche Sterbliche –
vielmehr schwebten die sie verkörpernden Schauspieler mithilfe des Krans
spektakulär auf die Bühne herab. Tags zuvor war der Kran allerdings kaum zum
Einsatz gekommen. „Zu Aischylos’ Zeiten wurde noch kein so großer Wert auf
Spezialeffekte gelegt“, erläuterte Thessalos.
Alexander, den andere Themen beschäftigten, fragte ihn:
„Warst du das eigentlich, der gestern den Achilleus gespielt hat?“
Thessalos besaß ein offenes Gesicht und wie die meisten
Schauspieler eine hochgewachsene, schlanke Statur. Er wischte sich die braunen
Locken aus der Stirn und lachte. „Leider nicht, bisher durfte ich nur
Nebenrollen spielen. Aber immerhin schon die besseren, gestern zum Beispiel die
des alten Priamos.“
„Das warst du? Aber du bist doch noch ganz jung! Trotzdem
klang deine Stimme gestern wie die eines alten Mannes!“
„Ein guter Schauspieler muss alle Rollen glaubwürdig
verkörpern können, junge Männer und alte, Frauen und sogar Götter.“
„Dann bist du offenbar ein sehr guter Schauspieler!“
„Sag das meinem Chef!“
Thessalos’ Lachen war ansteckend. „Er hat mir versprochen, dass ich im nächsten
Jahr endlich ein paar Hauptrollen spielen darf. Wir Schauspieler kommen weit
herum. Unsere Truppe gastiert demnächst öfter in Makedonien, und vielleicht
spiele ich für dich auch einmal den Achilleus!“
An dem Morgen, an dem sie wieder nach Mieza aufbrechen sollten,
ging Alexander mit Hephaistion
Weitere Kostenlose Bücher