Eine Krone für Alexander (German Edition)
Griechen
herrschen.“
„Aber dass Griechen über Barbaren herrschen, wäre kein
Verstoß?“, fragte Attalos.
Sofort fuhr ihm Erigyios über den Mund. „Hast du nicht zugehört?
Das wäre etwas anderes, denn die Barbaren sind keine vollwertigen Menschen. Sie
profitieren sogar noch davon, wenn wir über sie herrschen.“
„Gilt das eigentlich auch für die Barbaren in Europa?“,
wollte Langaros aus dem Hintergrund wissen (sein Stamm, die Agrianen, galt ja
ebenfalls als barbarisches Volk).
„Und was ist mit uns Makedonen?“, erkundigte sich Pausanias,
einer der Neuen, die vor Kurzem in Mieza eingetroffen waren und von den anderen
immer nur als „Frischlinge“ bezeichnet wurden. „Wir werden von den Griechen
doch auch dauernd als Barbaren hingestellt, zum Beispiel von diesem
Demosthenes.“
„Ja, was ist mit uns Makedonen?“, riefen gleich mehrere
Stimmen. „Was sind wir denn in Isokrates’ Augen?“
Kallisthenes räusperte sich in das Stimmengewirr hinein.
„Isokrates geht in der Tat davon aus, dass die Makedonen keine Griechen sind.
Aber das gilt selbstverständlich nicht für das Königshaus, denn es stammt von
Herakles ab. Karanos, der erste König, war einst aus Argos nach Makedonien
gekommen.“
„Also, das Königshaus ist griechisch, und wir anderen sind
alle Barbaren?“, fauchte Pausanias, der für seine Hitzköpfigkeit und Streitlust
berüchtigt war. „Sind wir etwa auch keine vollwertigen Menschen?“
Medios, ein Thessalier aus Larissa, erwiderte herablassend:
„Ihr müsst doch zugeben, dass ihr Makedonen unzivilisiert und rückständig
seid.“
„Unzivilisiert? Rückständig? Was ist mit Archelaos’ Palast?
Mit Euripides? Mit all den Dichtern und Künstlern, die in Pella gelebt haben?“
„Alles, was es in Makedonien an Kultur gibt, habt ihr aus
Griechenland importiert. Und wir Griechen waren es, die damals Xerxes’ Horden
aufgehalten haben. Ihr dagegen habt euch ohne Gegenwehr überrennen lassen. Wir
Griechen aber sind die Sieger von Marathon, den Thermopylen, von Salamis und
Plataiai!“
„An den Thermopylen habt ihr aber verloren“, korrigierte
Harpalos.
Pausanias überschrie ihn: „Die Sieger von Salamis und so
weiter? Das ist lange her, und seitdem habt ihr Griechen nichts Bemerkenswertes
mehr geleistet. Ihr seid doch alle degeneriert!“
Die Diskussion stand kurz davor, in eine Schlägerei
auszuarten. Da Kallisthenes die Situation offensichtlich nicht mehr im Griff
hatte, schaltete sich Aristoteles ein. Sofort wurde es wieder ruhig.
„Es ist richtig, dass Isokrates die Makedonen nicht als Griechen
gelten lässt, aber er bezeichnet sie auch nirgends ausdrücklich als Barbaren.
In seinem Sendschreiben rät er dem König, den verschiedenen Völkern auf die
ihnen jeweils angemessene Weise gerecht zu werden: den Griechen als Wohltäter,
den Makedonen als König und den Barbaren als Herrscher.“
Pausanias war inzwischen rot angelaufen. „Soll das heißen,
unser König ist nicht gut genug für die Griechen?“
„Nein, das heißt es nicht. Isokrates will damit nur sagen,
dass die Monarchie bei den Makedonen traditionell verankert ist und somit die
angemessene Regierungsform für sie darstellt. Nicht aber für die Griechen, die
schon seit Jahrhunderten demokratische oder zumindest aristokratische
Verfassungen haben. Die Barbaren wiederum leben unter der Herrschaft von
Despoten, und dies ist die Regierungsform, die ihrer natürlichen Veranlagung
entspricht. So sagt es auch Euripides in einer seiner Tragödien, der Aulischen Iphigenie: Recht ist es, wenn Griechen über Barbaren
herrschen, doch nicht umgekehrt; sie sind Sklaven, wir dagegen frei. Sollte
Philipp wirklich eines Tages zu einem Feldzug nach Asien aufbrechen, solltet
ihr immer bedenken, dass die Barbaren dort nicht Menschen wie wir sind.“
„Was ist mit Artabazos?“, fragte Alexander. Seit dem erhellenden
Gespräch mit Ptolemaios vor einiger Zeit hielt er sich bei den Diskussionen
bewusst ein wenig zurück. „Er lebte mit seiner Familie jahrelang hier in Pella,
und ich fand nicht, dass sie alle so anders waren als Griechen oder Makedonen.“
„Leider hatte ich keine Gelegenheit, Artabazos persönlich
kennen zu lernen“, erwiderte Aristoteles, „aber ich will gerne zugeben, dass
auch unter den Barbaren vereinzelt ehrenwerte und kultivierte Menschen zu
finden sind. Doch meistens ist es leider anders.“ Sein Gesicht verwandelte sich
in eine Maske aus Trauer und Schmerz. „Ihr habt wahrscheinlich
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