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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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breiten Bogen ein Gürtel widerstandsfähigen oolithischen Kalkgesteins, und zwar solches, das viele kugelförmige Ooide (winzige Mineralkörper) enthält. Der Gürtel heißt Juragürtel, und alle berühmten Bausteine aus England, vom Purbeck-Marmor und dem weißen Portland-Stein bis zu dem honigfarbenen Stein in Bath und den Cotswolds findet man dort, wo er verläuft. Dieses ururalte Gestein, aus urzeitlichen Meeren gepresst, verleiht großen Teilen der britischen Landschaft ihre weiche, zeitlose Atmosphäre. Zeitlosigkeit bei englischen Gebäuden ist allerdings reine Illusion.
    Der Grund, warum man nicht mehr Stein verwendet hat? Er war schlicht zu teuer. Ihn zu gewinnen war teuer, weil arbeitsintensiv, und der Transport wegen des enormen Gewichts zudem kostspielig. Eine Wagenladung Steine fünfzehn, zwanzig Kilometer weit zu befördern konnte den Preis leicht verdoppeln; im Mittelalter gebrochener Stein reiste also nicht sehr weit, und deshalb gibt es überall in Großbritannien so reizvolle und spezifisch regionale Unterschiede in der Auswahl des Steins und den Baustilen. Bei großen Steingebäuden wie einem Zisterzienserkloster verbaute man schnell einmal 40 000 Wagenladungen Steine, und die Bauten waren, nicht nur weil sie massiv, sondern weil sie aus massivem Stein waren, so Ehrfurcht gebietend. Der Stein selbst stand für Macht, Wohlstand, Pracht.
    Zum privaten Hausbau wurde er bis zum achtzehnten Jahrhundert kaum benutzt, doch dann setzte er sich selbst für schlichte Gebäude wie Cottages schnell durch. Leider gab es in großen Teilen des Landes außerhalb des Kalksteingürtels keinen Stein, und das galt auch für London, die wichtigste und bauhungrigste Stadt von allen. Rund um sie herum fand man allerdings riesige Vorräte an eisenreichem Lehm und entdeckte dadurch ein antikes Baumaterial wieder: den Backstein. Backsteine gibt es seit mindestens sechstausend Jahren, in Großbritannien findet man sie aber erst in römischer Zeit. Doch diese Steine waren alles andere als qualitativ gut. Obwohl die Römer solch geschickte Baumeister waren, wussten sie nicht, wie sie Backsteine so brennen konnten, dass die großen auch ganz durchgebacken waren. Sie machten dünnere, die eher Kacheln ähnelten. Nach Abzug der Römer benutzte man fast eintausend Jahre lang keine Backsteine mehr.
    Vereinzelt tauchten sie dann um das Jahr 1300 wieder in englischen Gebäuden auf, doch noch zweihundert Jahre lang hatten die Briten die Herstellung einfach nicht drauf und heuerten holländische Ziegelmacher und Maurer an, wenn sie Backstein verbauen wollten. Erst in der Tudorzeit setzte sich Backstein aus heimischen Ziegeleien durch. Viele der großartigen Backsteingebäude wie Hampton Court stammen aus dieser Periode. Backsteine hatten einen Vorteil: Man konnte sie häufig vor Ort fabrizieren. Davon zeugen Wassergräben und Teiche, die man in der Nähe von Herrenhäusern aus der Tudorzeit findet; dort wurde der Lehm ausgegraben, den man zu den Steinen verarbeitete.
    Sie hatten aber auch Nachteile. Um hochwertige herzustellen, musste der Ziegler bei jedem Arbeitsschritt alles hundertprozentig richtig machen. Zuerst galt es, zwei oder mehr Lehm- beziehungsweise Tonsorten zu mischen, denn auf die richtige Konsistenz kam es an, damit sich der Stein beim Brennen nicht verzog oder unverhältnismäßig schrumpfte. Die vorbereitete Masse wurde in Formen gegeben und musste zwei Wochen lang an der Luft trocknen. Dann wurde das Ganze in den Ofen geschoben und gebrannt. Auch wenn während dieses Prozesses irgendetwas schiefging, wenn der Feuchtigkeitsgehalt zu hoch oder die Hitze im Brennofen nicht genau richtig war, kamen mangelhafte Ziegel dabei heraus. Und zwar nicht zu selten und nicht zu knapp. Im Großbritannien des Mittelalters und der Renaissance standen gute Backsteine deshalb hoch im Kurs. Neu und schick, wurden sie normalerweise nur bei den schönsten und wichtigsten Bauten verwendet.
    Niemand demonstrierte wohl besser als der Kirchenmann Sydney Smith, wie schwierig es war, Backsteine herzustellen — aber vielleicht auch nur, wozu Sturheit führen kann. In den 1810er Jahren beschloss er nämlich, für das Pfarrhaus, das er sich in Foston le Clay in Yorkshire bauen wollte, die Ziegel selbst herzustellen. Angeblich hat er 150000 minderwertige Backsteine gebrannt, bis er endlich zugeben musste, dass er wohl doch nie auf den Trichter kommen werde.
    Das goldene Zeitalter des englischen Backsteins waren die hundert Jahre zwischen 1660 und

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