Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
Vom Netzwerk:
1760. »Man sieht nirgendwo auf der Welt schöneres Backsteinmauerwerk als in dieser Zeit«, schreiben Brunskill und Clifton-Taylor in ihrem Standardwerk Englisches Mauerwerk. Die Schönheit der Steine aus dieser Periode rührt großteils daher, dass sie, wenn auch noch so gering, im Aussehen voneinander abweichen. Weil man sie gar nicht alle identisch machen konnte, war das Spektrum der Farben wunderschön — von blass Rosarot bis zu tiefem Pflaumenblau. Die Farben werden von den Mineralien im Lehm bestimmt, und der große Eisenanteil in den meisten Lehmsorten sorgte dafür, dass die Rottöne bei Weitem überwogen. Die typischen gelben Londoner stock bricks sind wegen des Kalks im Lehm gelb.
    Um dem Mauerwerk die nötige Stärke zu verleihen, musste man die Backsteine gestuft vermauern; die vertikalen Fugen durften keine durchgehende Linie bilden. Daraus ergab sich eine Fülle von Stilen, die neben dem Gebot der Festigkeit dem Wunsch nach Vielfalt und Schönheit gehorchten. Beim sogenannten Englischen Verband wird eine Reihe Läufer längs versetzt und die darüberliegenden Binder quer, man sieht also nur die »Köpfe« der Steine. Beim Flämischen Verband wechseln sich Binder mit Läufern direkt hintereinander in einer Reihe ab. Der Flämische Verband ist sehr viel beliebter als der Englische, nicht weil er stärker, sondern weil er billiger ist. Es werden nämlich mehr Steine längs verlegt und deshalb weniger benötigt. Aber es gab viele andere Muster — den Chinesischen Verband (auch Rattenfallenverband genannt), Dearnes Verband (womit sich der sonst unbekannte Architekt Thomas Dearne verewigte), den Englischen Gartenmauerverband, Kreuzverband, Mönchsverband sowie den Schottischen Verband, die sich alle durch die Anordnung der Läufer und Binder unterscheiden. Zusätzlich konnten diese Muster noch verschönert werden, indem man manche Steine wie kleine Stufen ein wenig hervorstehen ließ (diese Technik nennt man Auskragen) oder andersfarbige Steine in einem Rautenmuster einfügte.
    Backstein blieb bis zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts überaus beliebt, und die schicksten Häuser wurden damit gebaut. Doch dann fand man ihn — besonders den roten — urplötzlich geschmacklos. »Er hat etwas Schroffes an sich«, überlegte Isaac Ware in seinem äußerst einflussreichen Der complette Corpus der Architectur schon im Jahr 1756. Roter Backstein, fuhr er fort, sei »unangenehm fürs Auge [...] und auf dem Land höchst unpassend« — genau dort wurde er natürlich am meisten verwendet.
    Plötzlich sollte nur noch Naturstein die Außenfläche eines Gebäudes zieren. In der Georgianischen Zeit wurde er so modisch, dass Hausbesitzer mit allen Mitteln zu verbergen suchten, dass ihr Haus nicht daraus war. Apsley House an der Hyde Park Corner in London war aus Backstein erbaut, wurde aber, als der plötzlich unmodisch wurde, mit Bath-Stone verkleidet.
    Überraschenderweise war Amerika indirekt mitschuldig daran, dass der Backstein in Ungnade fiel. Der Krieg mit den Kolonien und der Ausfall an Steuereinnahmen nach 1776 brachte den britischen Staat in Geldnöte. Er musste dringend neue Finanzquellen auftun und führte daher im Jahre 1784 eine deftige Backsteinsteuer ein. Die Hersteller produzierten größere Steine, um die Steuern niedrig zu halten, doch mit den größeren Steinen war so schlecht arbeiten, dass der Verkauf schließlich noch weiter zurückging. Wegen des Rückgangs dieser Steuereinnahmen wurden die Abgaben auf Backstein dann noch zwei Mal, 1794 und 1803, erhöht, und das war praktisch das Ende: Die Backsteine gerieten endgültig aus der Mode. Die Leute konnten sie sich schlichtweg nicht mehr leisten.
    Da aber viele existierende Gebäude nun mal aus Backsteinen waren, verpasste man ihnen im Zweifelsfalle einfach einen neuen Look, sprich, man verdeckte die ursprüngliche Backsteinfassade mit einem cremefarbenen Verputz oder einer Art Außengips aus Kalk, Wasser und Zement, dem Stuck. Während beide trockneten, konnte man adrette Linien hineinziehen, und es sah aus wie Steinblöcke. John Nash, der Architekt der Regency-Zeit, tat sich dabei besonders hervor, wie ein berühmter Zweizeiler bezeugt:
    Da ist doch unser Nash ... von wunderbarem Nutz, Nur Backstein fand er, nun ziert alles Putz!
    Nash gehört zu den vielen Leuten in diesem Buch, die aus dem Nichts kamen und deren steilen Aufstieg man so leicht nicht hätte vorhersagen können. Er wuchs bettelarm in Südlondon auf und konnte nicht einmal durch

Weitere Kostenlose Bücher