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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Fingerhandschuh«. Der Stil war dem der Reithosen von Brummells Regiment nachempfunden. Jacketts wurden mit Schößen hinten, vorn aber kurz geschneidert, so dass sie die Leistengegend perfekt einrahmten. Zum ersten Mal in der Geschichte war die Kleidung der Männer bewusst sexyer als die der Frauen.
    Offenbar konnte Brummell jede Dame — und jeden Herrn haben, nach der oder dem es ihn gelüstete, ob er aber davon Gebrauch machte oder nicht, ist faszinierend unklar. Allem Anschein nach war er asexuell; wir wissen von keiner Beziehung, mit Mann oder Frau, in der es um anderen Verkehr als den der eindringlichen Worte ging. Merkwürdig bei einem wegen seiner Erscheinung berühmten Mann ist im Übrigen, dass wir eigentlich nicht wissen, wie er aussah. Vier angebliche Porträts von ihm existieren, aber sie sind extrem unterschiedlich, und man kann nicht herausfinden, welches — wenn überhaupt eines — ihm ähnlich ist.
    Brummell fiel abrupt und unwiderruflich in Ungnade. Er und der Prinz von Wales überwarfen sich und sprachen nie mehr miteinander. Bei einer Gesellschaft ignorierte der Prinz von Wales Brummell betont und redete stattdessen mit dessen Begleiter. Als der Prinz weiterging, wandte sich Brummell an seinen Freund und machte eine der unklügsten Bemerkungen in der ganzen Geschichte der Sitten und Gebräuche: »Wer ist Ihr fetter Freund?» Eine solche Beleidigung war gesellschaftlicher Selbstmord. Kurz danach holten Brummells Schulden ihn ein, und er flüchtete nach Frankreich. Die letzten zweieinhalb Jahrzehnte seines Lebens lebte er, hauptsächlich in Calais, in Armut und wurde langsam immer dementer, sah aber auf seine gediegene, sorgfältig gepflegte Weise immer sensationell aus.
    II.
    Genau zu der Zeit, als Beau Brummell die Modeszene in London und darüber hinaus beherrschte, begann ein neuer Stoff die Welt zu verändern, besonders die Welt der verarbeitenden Industrie. Ich meine natürlich den aus Baumwolle. Die Bedeutung der Baumwolle in der Geschichte kann man kaum hoch genug ansetzen.
    Heute ist sie so ein alltägliches Material, dass wir vergessen, wie extrem wertvoll sie einmal war — wertvoller als Seide. Erst als die Ostindiengesellschaft anfing, Kattun aus Indien zu importieren, konnte man sich Baumwollstoffe plötzlich leisten. Kattun war damals im Grunde ein Sammelbegriff für Chintzstoffe, Musselin, Perkal und anderes farbenprächtiges Material, das westliche Konsumenten in unermessliches Entzücken versetzte, weil es so leicht und gut waschbar war und die Farben nicht abfärbten. Wenn auch einige Baumwollstoffe aus Ägypten kamen, war Indien der Hauptexporteur, wovon unzählige Worte zeugen: Khaki, Gingham, Musselin, Pyjama, Schal, Seersucker und andere mehr.
    Das immer bessere Angebot an indischen Baumwollstoffen freute die Konsumenten, aber nicht die europäischen Hersteller. Unfähig, damit zu konkurrieren, verlangten die Textilarbeiter fast überall Schutz und bekamen ihn auch fast überall. In den meisten Ländern Europas wurde der Import von Baumwollfertigerzeugnissen während des gesamten achtzehnten Jahrhunderts verboten.
    Rohbaumwolle durfte man noch einführen; ihre Weiterverarbeitung wurde nun zur mächtigen Antriebskraft für die britische Textilindustrie. Baumwolle war zwar schwer zu spinnen und zu verweben, doch die Leute versuchten mit aller Kraft, eine Lösung dafür zu finden. Die Lösung, die sie fanden, war die Industrielle Revolution.
    Um Ballen flauschiger Baumwolle in nützliche Dinge wie Bettwäsche und Jeans zu verwandeln, bedarf es zweier wesentlicher Tätigkeiten: des Spinnens und des Webens. Spinnen ist der Vorgang, in dem man mit Spulen kurze Baumwollfasern in lange Fäden verwandelt, das heißt immer wieder kurze Fasern hinzufügt, und das Ganze dreht — wovon wir ja schon beim Seilmachen gesprochen haben. Man webt in dem man zwei Fäden oder Fasern im rechten Winkel zueinander verflicht und ein Gewebe entsteht. Die Maschine, mit der man das macht, ist der Webstuhl. Auf dem sind eigentlich nur eine Reihe von Fäden festgezurrt, durch die man andere Fäden hindurchfädelt, um das Gewebe herzustellen. Die festen Fäden heißen Kettfäden oder Kette, die anderen Schussfäden oder Schuss. Verflicht man horizontale und vertikale Fäden miteinander, erhält man Stoff. Die meisten Alltagsdinge, die im Haushalt vorkommen — Laken, Bettwäsche, Taschentücher und dergleichen —, werden immer noch in dieser elementaren Art gewebt.
    Spinnen und Weben waren

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