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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Fasern kurzstapelig und äußerst schwierig zu ernten waren. Die Samenkapseln waren voller klebriger Samen — auf jedes Kilo Baumwollfasern kamen drei Kilo Samen —, die Stück für Stück von Hand von der Faser getrennt werden mussten. Das war so arbeitsintensiv, dass es sich selbst mit Sklavenarbeit nicht rentierte. Die Sklaven zu ernähren und zu kleiden kostete viel mehr, als die Menge der selbst von den flinksten Händen gezupften, brauchbaren Baumwolle einbrachte.
    Der Mann, der das Problem löste, wuchs weit weg von irgendwelchen Plantagen auf. Er hieß Eli Whitney, kam aus West-borough in Massachusetts, und wenn alles an der Geschichte wahr ist (was, wie wir gleich sehen, bezweifelt werden darf), dann war es der allerglücklichste Zufall, auf Grund dessen sein Name unsterblich wurde.
    Gemeinhin wird Folgendes erzählt: Nachdem Whitney in Yale studiert hatte, nahm er 1793 bei einer Familie in South Caroli na einen Job als Hauslehrer an. Doch als er dort ankam, eröffnete man ihm, das Gehalt werde nur die Hälfte des versprochenen betragen. Empört weigerte er sich, den Posten anzutreten, womit seiner Ehre Genüge getan war, er aber mittellos und fern der Heimat dastand.
    Auf der Schiffsreise nach Süden hatte er eine muntere junge Witwe namens Catharine Greene kennengelernt, Frau des verstorbenen Generals Nathanael Greene, eines Helden des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, dem eine dankbare Nation für seine Unterstützung George Washingtons in den dunkelsten Stunden des Krieges eine Plantage in Georgia geschenkt hatte. Leider war Greene als Neuengländer nicht an die Hitze in Georgia gewöhnt und wurde schon in seinem ersten Sommer dort von einem Hitzschlag dahingerafft. An die Witwe dieses Herrn Greene wandte sich Whitney also nun.
    Die lebte zu der Zeit munter und fidel und ziemlich offen mit einem anderen Mann aus Yale zusammen, mit Phineas Miller, ihrem Plantagenverwalter. Gern nahmen sie Whitney in ihren Haushalt auf. Und dort lernte er das Problem mit den Baumwollsamenkapseln kennen. Kaum hatte er eine Kapsel genauer betrachtet, glaubte er sofort, er habe eine Lösung, begab sich in die Werkstatt der Plantage und baute eine simple, sich drehende Trommel mit Nägeln, die, wenn die Trommel sich drehte, die Baumwollfasern abrissen. Die Samen blieben zurück. Das neue Gerät war so effizient, dass es die Arbeit von fünfzig Sklaven erledigte. Whitney ließ seine »Gin« (Kurzform von engine) patentieren und bereitete sich darauf vor, unglaublich reich zu werden.
    So weit die Geschichte, wie sie herkömmlich erzählt wird. Doch allem Anschein nach strotzt sie vor Unwahrheiten. Heute vermutet man, dass Whitney Miller von der Uni kannte — die Sache mit Yale ist ein gar zu großer Zufall —, dass er bereits damals von den Problemen des Baumwollanbaus auf US-amerikanischem Boden wusste, möglicherweise auf Millers Bitte in den Süden reiste und erste Entwürfe für die Cotton Gin, die Egrenier- oder Entkörnungsmaschine, mitbrachte. Und so erfand er sie auch offenbar nicht binnen weniger Stunden auf der Greene'schen Plantage, sondern hatte sich schon vorher über Wochen oder Monate in einer Werkstatt in Westborough dazu Gedanken gemacht.
    Aber ganz gleichgültig, wie es sich zugetragen hat, das Maschinchen war ein kleines Wunderwerk. Whitney und Miller gründeten eine Firma mit allen Aussichten auf großen Profit, doch sie waren katastrophale Geschäftsleute. Für die Nutzung ihrer Maschine verlangten sie ein Drittel der Ernte — was sowohl Plantagenbesitzer als auch Gesetzgeber in den Südstaaten als schlicht raffgierig ansahen. Dass beide MännerYankees waren, trug auch nicht zu einem besseren Geschäftsklima bei. Überzeugt, dass die Pflanzer im Süden sich nicht auf Ewigkeit diesem alles verändernden StückTechnik verweigern konnten, lehnten Whitney und Miller es trotzdem strikt ab, ihre Forderungen zu modifizieren. Hinsichtlich der Unwiderstehlichkeit der Cotton Gin hatten sie Recht, aber sie hatten nicht bedacht, dass man sie auch leicht kopieren konnte. Jeder halbwegs anständige Schreiner konnte eine in ein paar Stunden zusammenzimmern. Bald ernteten die Plantagenbesitzer ihre Baumwolle mit selbstgebastelten Entkörnungsmaschinen. Whitney und Miller strengten in Georgia sechzig und anderswo weitere Prozesse an, stießen aber in den Südstaatengerichtshöfen auf wenig Sympathie. 1800 — nur sieben Jahre nach der Erfindung der Gin — gerieten Miller und Catharine Greene in solche finanzielle

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