Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
Perückenmacher und Wundarzt-Barbier, aufs Zähneziehen und zur Ader lassen Kranker und Leidender spezialisiert. Offenbar begann er sich für die Tuchherstellung durch die Freundschaft mit einem anderen John Kay zu interessieren — einem Uhrmacher, der mit dem gleichnamigen »Schnellschützen«-Erfinder aber we-
der verwandt noch verschwägert war. Mit Hilfe des Ersteren besorgte er sich alle nötigen Maschinen und Dinge und brachte die Baumwollherstellung unter ein Dach. Da er, freundlich ausgedrückt, nie von Skrupeln geplagt war, stahl er Hargreaves die Reste der Spinning Jenny ohne Zögern oder spätere Reue (geschweige denn Entschädigung), brach Geschäftsvereinbarungen und verriet Freunde und Partner, wann immer es ihm geboten oder profitabel erschien.
Sicher, er hatte ein Händchen weg für mechanische Verbesserungen, doch genial war er, wenn es galt, Chancen beim Schopf zu packen. Er war ein Organisator — eigentlich ein Wühler —, und zwar ein sehr, sehr guter. Mit einer Mischung aus harter Arbeit, Glück, Opportunismus und eiskalter Gewissenlosigkeit baute er für eine kurze, aber extrem lukrative Zeit buchstäblich ein Monopol auf das Baumwollgeschäft in England auf.
Die Menschen, die durch Arkwrights Maschinen ihre Arbeit verloren, gerieten nicht einfach nur in eine unangenehme Lage, nein, sie wurden in bitterste Not gestürzt. Das sah Arkwright offenbar voraus, denn er baute seine erste Fabrik wie eine Festung in einer entlegenen Ecke Derbyshires — das ja selbst schon eine entlegene Grafschaft war — und rüstete sie mit Kanonen und sogar einem Arsenal von fünfhundert Speeren aus. Er beherrschte den Markt in der mechanischen Produktion von Tuch und wurde unermesslich reich, wenn auch nicht beliebt oder besonders glücklich. Als er 1792 starb, hatte er fünftausend Arbeiter in Lohn und Brot und hinterließ eine halbe Million Pfund Sterling — eine Riesensumme für jedermann, aber besonders für jemanden, der einen Großteil seines Lebens als Perückenmacher und Wundarzt-Barbier verbracht hatte.
Die Industrielle Revolution Ende des achtzehnten Jahrhunderts machte ihrem Namen längst noch nicht alle Ehre. Das kam erst mit dem erstaunlich unkonventionell agierenden Pastor Edmund Cartwright (1743-1823), einer Schlüsselfigur jener Zeit. Cart- wright stammte aus einer betuchten und einflussreichen Familie in Nottinghamshire und wollte gern Dichter werden, ging aber in den Kirchendienst und bekam eine Pfarrstelle in Leicestershire. Nach einer zufälligen Unterhaltung mit einem Tuchfabrikanten entwarf er — absolut aus dem Nichts — 1785 den mechanischen Webstuhl. Cartwrights Erfindung veränderte die Weltwirtschaft und machte Großbritannien nun wirklich reich. 1851, zur Zeit der ersten Weltausstellung, waren in England eine Viertelmillion dieser Webstühle in Gebrauch, und die Zahl wuchs pro Jahrzehnt um durchschnittlich 100000, bis sie im Jahr 1913 in England 805 000 und fast drei Millionen in der ganzen Welt betrug.
Hätte Cartwright für seine Erfindungen auch nur annähernd das bekommen, was sie wert waren, wäre er der reichste Mann seiner Zeit geworden — so reich wie John D. Rockefeller oder Bill Gates in ihrer —, doch er verdiente überhaupt nichts daran und verschuldete sich sogar noch, als er versuchte, seine Patente zu schützen und durchzusetzen. 1809 gestand ihm das Parlament in London eine Pauschalsumme von 10 000 Pfund zu, fast nichts im Vergleich zu Arkwrights 500 000, doch immerhin so viel, dass er seine letzten Tage auskömmlich leben konnte.
Mittlerweile hatte er Geschmack am Erfinden gefunden und erfand Seilmacher- und Wollkämmmaschinen, beide sehr erfolgreich, sowie neue Typen von Druckmaschinen, Dampfmaschinen, Dachziegeln und Ziegelsteinen. Seine letzte Erfindung, 1823 kurz vor seinem Tod, war eine Kutsche »ohne Pferde«, aber mit Handkurbel. In seinem Patentantrag erklärte er selbstbewusst, dass das Gefährt, wenn zwei Männer unablässig, aber ohne übergebührliche Anstrengung kurbelten, bis zu vierzig Kilometer am Tag selbst über steilstes Gelände zurücklegen könne.
Als die mechanischen Webstühle schnurrten, hätte die Tuchindustrie voll abheben können, aber es gab nicht genug Baumwolle. Da im amerikanischen Süden das Klima zwar zu heiß und trocken für viele andere Feldfrüchte, aber für Baumwolle perfekt war, begann man sie dort anzupflanzen. Leider war die einzige Sorte, die in den meisten Böden dort gedieh, keine rechte Alternative, weil die
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