Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
Vom Netzwerk:
schlecht ausfielen und die hungernden Menschen begriffen, dass ohnehin schon knappes Mehl nicht zu Brot verbacken wurde, sondern auf den privilegierten Häuptern der Aristokratie landete, revoltierten sie. Ende des achtzehnten Jahrhunderts war Haarpuder meist farbig — besonders beliebt: blau und rosa — und parfümiert.
    Man konnte die Perücke pudern, wenn sie auf einem sogenannten Haubenstock stand, war aber überwiegend der Meinung, dass man nur dann höchste Eleganz erzielte, wenn man sie dabei aufhatte. Dazu musste der Besitzer sie aufsetzen, Schultern und Oberkörper mit einem Tuch bedecken und das Gesicht in einen Papiertrichter stecken (um nicht zu ersticken), während ein mit einem Blasebalg bewaffneter Diener oder frisseur den Kopf mit wahren Puderwolken einstaubte. Ein paar anspruchsvollere Zeitgenossen trieben die Sache sogar noch weiter. Ein gewisser Fürst Kaunitz ließ von vier Dienern vier verschiedenfarbige Wolken Puder in die Luft pusten und stolzierte dann so hindurch, dass genau der gewünschte Effekt erzielt wurde. Nachdem ein Lord Effingham davon erfahren hatte, bestallte er fünf französische f risseurs, die sich nur um sein Haar kümmern mussten; Lord Scarborough heuerte sechs an.
    Und dann kamen Perücken urplötzlich aus der Mode. Verzweifelt ersuchten die Perückenmacher George III. darum, das Perückentragen Männern gesetzlich vorzuschreiben, doch der König lehnte ab. Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts wollte sie niemand mehr, und man benutzte sie als Staubwedel. Überlebt haben sie nur in bestimmten Gerichtssälen in Großbritannien und im Commonwealth. Soweit ich weiß, sind die Perücken der Juristen aus Pferdehaar und kosten ungefähr sechshundert Pfund. Viele Anwälte tauchten sie in Tee, damit sie nicht so neu aussahen, doch sie, die Träger, alt und erfahren.
    Die Damenwelt hob die Frisuren wortwörtlich auf ein anderes Niveau. Man türmte eigenes Haar auf Drahtgerüsten auf und erreichte durch Untermischen von gefetteter Wolle und Pferdehaar monumentale Höhen. Damenperücken waren oft mehr als fünfundsiebzig Zentimeter hoch und machten ihre Trägerin durchschnittlich bis zu 2,25 Meter groß. Wenn die Damen in der Kutsche fahren mussten, um Termine außer Haus wahrzunehmen, setzten sie sich oft auf den Boden oder steckten die Köpfe zum Fenster hinaus. Mindestens zwei Todesfälle von Frauen wurden dem Umstand zugeschrieben, dass ihr Haar Lüster gestreift und Feuer gefangen hatte.
    Die Frisuren wurden so kompliziert und ornamental, dass sie mit einem vollkommen neuen Vokabular bezeichnet wurden und sogar einzelne Locken oder Lockensträhnen eigene Namen

    bekamen. Nur »Chignon« für einen Nackenknoten ist davon übrig geblieben. Wegen des ungeheuren Frisieraufwands ließen Frauen ihr Haar nicht selten monatelang unangetastet und schmierten höchstens ab und zu einen Klacks Paste hinein, damit alles hübsch zementiert blieb. Viele schliefen auf besonderen Holzblöcken, damit ihre hochkomplizierten Haartrachten nicht zerstört wurden. Da sie das Ganze natürlich nicht wuschen, wimmelte es oft von Insekten darin, besonders von Rüsselkäfern. Es wird berichtet, dass eine Frau eine Fehlgeburt erlitt, als sie entdeckte, dass in ihrem Oberdeck Mäuse nisteten.
    Die Blütezeit der turmhohen Damenfrisuren kam in den 1790er Jahren, als die Männer schon kaum noch Perücken trugen. Frauenperücken waren häufig mit Bändern und Federn geschmückt, doch manchmal mit noch üppigeren Aufbauten. John Woodforde erwähnt in seiner Geschichte der Eitelkeit eine Frau, die ein Modellschiff spazieren führte: Komplett mit Segeln und Kanonen ritt es sozusagen auf dem Kamm ihrer Haarwellen, als wolle es sie vor einer Enterung schützen.
    In der Zeit wurde es auch Mode, künstliche Muttermale zu tragen, die mouches oder Schönheitspflästerchen. Immer neue Formen wie Sterne oder Halbmonde kamen hinzu. Die gepflegte Dame platzierte sie auf Gesicht, Hals oder Schultern. Eine klebte sich angeblich einmal eine Kutsche samt sechs galoppierenden Pferden auf die Wange. Auf dem Höhepunkt dieser Marotte trugen die Leute ein solches Übermaß an mouches, dass es ausgesehen haben muss, als seien sie übersät mit Fliegen, was das Wort auf Französisch ja auch heißt. Männer wie Frauen liebten diese »Fliegen«, angeblich konnte man gleich noch seine politische Gesinnung damit kundtun: In England bedeuteten sie auf der rechten Wange, dass man ein Whig und damit in gewisser Weise fortschrittlich war,

Weitere Kostenlose Bücher