Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
Doppelsalz — zum Fixieren von Farben. Es ist, um den exakten Terminus zu verwenden, ein Beizmittel. Außerdem findet es als 'Gärmittel bei allen möglichen industriellen Produktionsprozessen Verwendung, beim Zurichten von Leder und zum Weißmachen von Mehl, was nicht unbedingt schlimm ist, da man nur winzige Mengen dazu braucht. Schon drei, vier Löffel machen hundert Kilogramm Mehl wunderbar weiß, und so verteilt schadet das Alaun niemandem. Selbst heute noch fügt man es Lebensmitteln und Medikamenten zu. Es ist üblicher Bestandteil in Backpulver und Impfstoffen, und wegen seiner klärenden Eigenschaften versetzt man sogar manchmal das Trinkwasser damit. Mindere Qualitäten von Mehl, das ernährungsphysiologisch völlig in Ordnung, aber nicht sehr appetitlich anzusehen war, wurden durch wenige Gramm Alaun bei der Masse der Menschen akzeptabel, und die Bäcker konnten mehr aus ihrem Weizen herausholen. Sie verwendeten es auch als Trocknungsmittel, und das war vollkommen vernünftig.
Nicht immer übrigens bediente man sich fremder Substanzen, um die Produkte zu strecken. Manchmal plumpste auch etwas hinein. Bei einer parlamentarisch angeordneten Überprüfung von Bäckereien im Jahre 1862 fand man nicht selten »massenweise Spinnweben, die unter dem Gewicht von darauf angesammeltem Mehlstaub in Fetzen herunterhingen« und jederzeit in jeden Backtrog und auf jedes Backblech fallen konnten. Insekten und allerlei Ungeziefer huschten an Wänden entlang und über Arbeitsplatten. In einer Probe Eiskrem, das 1881 in London verkauft wurde, fand man laut Adam Hart-Davis Menschenhaare, Katzenhaare, Insekten, Baumwollfasern und mehrere andere nicht unbedingt gesunde Dinge, was ganz gewiss an einem Mangel an Hygiene lag und nicht daran, dass man aus betrügerischen Absichten Füllmittel zugesetzt hatte. Zur gleichen Zeit wurde ein Konditor zu einer Strafe verurteilt, weil er »seine Waren mit Farbstoffen gelb gefärbt hatte, die ihm vom Streichen seines Karrens übrig geblieben waren«. Doch gerade weil Zeitungen diese Fälle aufgriffen und groß herausbrachten, muss man annehmen, dass es Ausnahmen und nicht die Regel waren.
Tobias Smollett malt in seiner Briefromanschwarte Humphry Clinker ein solch anschauliches Bild des englischen Lebens im achtzehnten Jahrhundert, dass selbst jetzt noch viel daraus zitiert und für bare Münze genommen wird. In einer der drastischeren Passagen beschreibt er, wie Milch in offenen Eimern durch die Straßen Londons getragen wurde und »Spucke, Rotz und Stücke von Priemen Vorübergehender« hineinfielen, ferner »Spritzer von randvollen Fäkalienkarren und Kutschenrädern, Dreck und Unrat, mit dem böse Buben sich aus Übermut bewarfen, Ausgespienes von Säuglingen [...] und schließlich Ungeziefer, das aus den Lumpen der garstigen Vettel plumpste, die diese kostbare Mixtur feilbot«. Was gern übersehen wird, ist, dass das Buch eine Satire und keine Reportage sein sollte und sein Verfasser nicht einmal in England war, als er es schrieb, sondern todkrank in Italien, wo er drei Monate nach der Veröffentlichung starb.
Natürlich heißt das nicht, dass es keine schlechten Lebensmittel gab. Selbstverständlich gab es die, insbesondere Fleisch von kranken Tieren und solches, das sein Verfallsdatum lange überschritten hatte. Der Schmutz auf dem Smithfield Market in London, dem Hauptfleischmarkt, war berühmt-berüchtigt. Bei einer behördlichen Überprüfung im Jahre 1828 sagte ein Zeuge, er habe »einen Übelkeit erregenden Kuhkadaver« gesehen, »an dem das Fett nur noch triefender gelber Schleim« gewesen sei. Tiere, die von weither dort hingetrieben wurden, waren oft erschöpft und krank und erholten sich ja nun nicht gerade am Ort ihrer Hinrichtungsstätte. Viele Tiere waren mit eiternden Wunden bedeckt. Auf dem Smithfield Market wurde so viel verdorbenes Fleisch verkauft, dass man dort eigens einen Namen dafür hatte: cag-mag, was so viel wie »billige Scheiße« hieß.
Selbst wenn die Absichten der Produzenten rein waren, waren das ihre Lebensmittel nicht immer. Letztere in essbarem Zustand zu entfernten Märkten zu befördern war ja auch stets schwierig. Andererseits träumten die Leute davon, Dinge von weither oder außerhalb der Saison zu essen. Im Januar 1859 verfolgte halb Amerika eifrig, wie ein Schiff mit dreihunderttausend saftigen Orangen und vollen Segeln von Puerto Rico zu den Neuenglandstaaten fuhr, weil man beweisen wollte, dass es möglich war. Bei der Ankunft waren
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