Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
Kapitalisten, wie man Gerechtigkeit und politische Freiheit nach Simbabwe oder Afghanistan bringen kann. Wahrscheinlich bekommen Sie einen Vortrag zu hören, dass Wohlstand und eine prosperierende Mittelschicht die Voraussetzung für stabile demokratische Institutionen sind und dass afghanische Hirten zu Unternehmensgründern werden müssen.
Die neue Religion hatte auch entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der modernen Wissenschaften. In aller Regel wird die Forschung von staatlichen Einrichtungen oder privaten Unternehmen finanziert. Wenn kapitalistische Staaten und Unternehmen erwägen, ob sie ein bestimmtes Forschungsprojekt fördern sollen oder nicht, lautet die erste Frage: »Ermöglicht dieses Projekt die Steigerung der Produktion und der Gewinne? Lässt es die Wirtschaft wachsen?« Kann ein Projekt diese Fragen nicht mit Ja beantworten, hat es kaum Chancen, einen Geldgeber zu finden. Eine Geschichte der modernen Wissenschaften, die den Kapitalismus ausklammert, ist das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wird.
Umgekehrt lässt sich die Geschichte des modernen Kapitalismus nur verstehen, wenn man die Wissenschaften mit einbezieht. Der Kapitalismus ist der Glaube an das grenzenlose Wachstum der Wirtschaft. Dieser Glaube widerspricht so ziemlich allem, was wir über das Universum wissen. Ein Wolfsrudel würde sich einem fatalen Irrtum hingeben, wenn es glauben würde, dass das Angebot an Schafen immer weiter wächst. Wenn die menschliche Wirtschaft in der Neuzeit trotzdem exponentiell gewachsen ist, dann hat sie das dem Umstand zu verdanken, dass Wissenschaftler alle paar Jahre neue Fortschritte erzielen, Amerika entdecken, die Dampfmaschine entwickeln oder Schafe klonen. Banken und Staaten drucken Geld, aber unterm Strich zahlen die Wissenschaftler die Zeche.
Kolumbus sucht einen Sponsor
Der Kapitalismus spielte nicht nur beim Aufstieg der modernen Wissenschaften eine entscheidende Rolle, sondern auch bei der Expansion des europäischen Imperialismus. Und auf der anderen Seite waren es die europäischen Imperialisten, die das kapitalistische Kreditwesen ins Leben riefen. Natürlich wurde der Kredit nicht in Europa erfunden: Der Kredit ist so alt wie das Geld, und der Aufstieg des Kapitalismus zu Beginn der Neuzeit war eng mit wirtschaftlichen Entwicklungen in Asien verknüpft. Erinnern wir uns daran, dass Asien bis zum Ende des 18. Jahrhunderts das Herz der Weltwirtschaft war und die Europäer sehr viel weniger Kapital zur Verfügung hatten als die Chinesen, Araber oder Inder.
Doch in China, Indien und der islamischen Welt spielten Kredit und Kapitalismus nur eine untergeordnete Rolle. Die Händler und Geldverleiher auf den Märkten von Istanbul, Isfahan, Delhi und Peking mögen zwar auch kapitalistisch gedacht haben, doch die Könige in ihren Palästen und die Generäle in ihren Festungen verachteten sie als Krämerseelen. Die meisten nichteuropäischen Reiche der frühen Neuzeit wurden von großen Eroberern wie Nurhaci und Nader Shah, von bürokratischen und militärischen Eliten der Qing-Dynastie und der Osmanen errichtet. Sie finanzierten ihre Kriege über Steuern und Plünderungen (was letztlich auf dasselbe hinausläuft). Mit Krediten hatten sie wenig am Hut, und um die Interessen der Händler und Investoren scherten sie sich noch weniger.
In Europa machten sich die Könige und Generäle dagegen das kaufmännische Denken zu eigen, bis die Händler und Bankiers schließlich selbst zur herrschenden Elite wurden. Die europäische Eroberung der Welt wurde immer mehr über Kredite und immer weniger über Steuern finanziert, und sie wurde zunehmend von Kapitalisten gelenkt, die vor allem daran interessiert waren, ihre Erträge zu maximieren. Die Imperien der Händler und Bankiers in Frack und Zylinder siegten erstaunlicherweise über die Imperien der Könige und Adeligen in ihren goldenen Roben und glänzenden Rüstungen. Die kaufmännisch geführten Imperien gingen bei der Finanzierung ihrer Eroberungen einfach deutlich geschickter vor. Niemand zahlt gern Steuern, aber alle wollen investieren und Geld verdienen.
Im Jahr 1484 wurde Christoph Kolumbus beim König von Portugal vorstellig und bat ihn, eine Flotte auszustatten, mit der er nach Westen segeln und eine neue Handelsroute nach Ostasien entdecken wollte. Solche Expeditionen waren eine riskante und kostspielige Angelegenheit. Es war viel Geld nötig, um die Schiffe zu bauen, Proviant zu kaufen und die Heuer zu bezahlen. Außerdem konnte
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