Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
Unternehmungen.
Nehmen wir unsere Bäckerei. Was wäre passiert, wenn das Geld nur Dinge repräsentieren kann, die tatsächlich existieren? Die Bäckerei wäre nie gegründet worden. Frau Back hat zwar eine Menge Ideen im Kopf, aber sie kann nichts Handfestes vorweisen. Wenn sie einen Bauunternehmer findet, der bereit ist, mit seiner Arbeit in Vorlage zu treten und sich in ein paar Jahren bezahlen zu lassen, dann ist alles schön und gut. Doch solche Leute sind rar. Damit hat Frau Back ein Problem: Sie hat ja noch keine Bäckerei und deswegen auch keine Kuchen. Kein Kuchen, kein Geld. Kein Geld, kein Bauunternehmer. Kein Bauunternehmer, keine Bäckerei.
In diesem Stillstand war die Menschheit über Jahrtausende hinweg gefangen. Erst in der Neuzeit befreite sie sich aus dieser Falle, als ein neues System aufkam, das auf Vertrauen in die Zukunft aufgebaut war. In diesem neuen System kamen die Menschen überein, imaginäre Güter (also solche, die es im Hier und Jetzt noch nicht gab) durch eine besondere Art von Geld zu repräsentieren, die sie »Kredit« nannten. Dieser Kredit erlaubt uns, die Gegenwart auf Kosten der Zukunft zu erschaffen. Kredit basiert auf dem Gedanken, dass wir in Zukunft mehr Ressourcen zur Verfügung haben werden als in der Gegenwart. Wenn wir heute Dinge aufbauen und mit dem Einkommen von morgen bezahlen können, dann eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten.
Wenn der Kredit so eine wunderbare Sache ist, warum kam die Menschheit dann nicht früher auf diesen Gedanken? Natürlich tat sie das. Schon die alten Sumerer verliehen Geld. Das Problem war nur, dass niemand ausreichendes Vertrauen in die Zukunft hatte, um größere Kredite zu vergeben. Die meisten Menschen waren überzeugt, die Geschichte trete auf der Stelle oder schlimmer noch, es ginge immer weiter bergab. In wirtschaftliche Begriffe übersetzt glaubten sie also, dass die Gesamtsumme des Wohlstands begrenzt war und vielleicht sogar immer kleiner wurde – dass die Wirtschaft wachsen würde, konnten sie sich nicht vorstellen. Nur wenige hatten das Vertrauen, dass sie, ihr Land oder die ganze Welt in zehn Jahren mehr produzieren könnte als heute. Die Wirtschaft war also ein Nullsummenspiel. Wenn eine Bäckerei größere Gewinne erzielte, dann nur auf Kosten einer anderen Bäckerei. Venedig könnte zwar einen Boom erleben, aber nur, weil es mit Genua gleichzeitig bergab ging. Der König von England könnte zwar reicher werden, aber nur auf Kosten des Königs von Frankreich. Die Wirtschaft war wie ein Kuchen, der nie größer wurde. Man konnte ihn zwar in verschieden große Stücke schneiden, aber es war immer derselbe Kuchen.
Das war auch der Grund, warum Reichtum in vielen Kulturen als Sünde galt. Oder wie Jesus sagte: »Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.« (Matthäus 19,24) Wenn der Kuchen immer gleich groß ist, und ich mir ein großes Stück herausschneide, dann muss ich mir etwas genehmigt haben, das anderen zusteht. Deshalb mussten die Reichen Buße tun und einen kleinen Teil ihres Reichtums den Armen spenden.
Und da der Kuchen nicht größer wurde, gab es kaum Kredit. Kredit ist nämlich die Differenz zwischen dem Kuchen von heute und dem Kuchen von morgen. Wenn der Kuchen nicht größer wird, warum sollte man dann Kredite vergeben? Wenn man einem Bäcker oder König Geld lieh, musste man schon hoffen, dass sie jemand anderem ein Stück abzwackten. Daher vergab kaum jemand Kredite, und wenn, dann nur kurzfristig kleine Summen zu horrenden Zinsen. Unter diesen Umständen hätte Frau Back ihre Bäckerei nie eröffnet, und Könige konnten ihre Paläste oder Kriege nur finanzieren, indem sie neue Steuern erhoben.
Es war eine Situation, in der alle nur verlieren konnten. Da es kaum Kredit gab, wurden kaum Unternehmen gegründet. Und ohne neue Unternehmen dümpelte die Wirtschaft vor sich hin. Da die Wirtschaft nicht wuchs, nahmen alle an, dass sie nie wachsen würde, und wer Geld hatte, verspürte wenig Lust, es zu verleihen. Die Erwartung der Stagnation erfüllte sich selbst.
Ein Kuchen, der immer größer wird
Dann kam die wissenschaftliche Revolution und mit ihr der Fortschrittsgedanke. Letzterer basiert auf der Vorstellung, dass wir unsere Situation verbessern können, wenn wir unsere Unwissenheit eingestehen und Ressourcen in Forschung investieren. Dieser Gedanke wurde bald von der Wirtschaft aufgegriffen. Wer an Fortschritt glaubt, ist überzeugt, dass sich die
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