Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
Gesamtsumme der menschlichen Produktion, des Handels und des Wohlstands mit Hilfe von Entdeckungen, Erfindungen und Verbesserungen vergrößern lässt. Wir können neue Handelsrouten im Atlantik aufbauen, ohne die Profite der alten Handelsrouten im Indischen Ozean zu schmälern. Wir können neue Güter produzieren, ohne die Produktion der alten zu beeinträchtigen. Wir könnten eine Bäckerei eröffnen, die sich auf Sachertorte und Croissants spezialisiert, ohne dass deshalb die Vollkornbäcker pleitegehen. Jeder entwickelt einen anderen Geschmack und isst einfach mehr. Ich kann reich werden, ohne dass Sie deshalb arm werden; ich kann Übergewicht haben, ohne dass Sie verhungern. Der globale Kuchen kann einfach größer werden.
In den vergangenen fünf Jahrhunderten haben wir unter dem Eindruck des Fortschrittsgedankens immer mehr Vertrauen in die Zukunft investiert. Dieses Vertrauen stellte Kredite bereit, die Kredite kauften reales Wirtschaftswachstum, das Wirtschaftswachstum stärkte das Vertrauen in die Zukunft und bereitete den Boden für neue Kredite. Das passierte natürlich nicht über Nacht, und der Weg dorthin glich gelegentlich einer Achterbahnfahrt. Aber aus der Perspektive eines Satelliten in der Erdumlaufbahn ist der Trend eindeutig. Heute steht so viel Kredit zur Verfügung, dass Regierungen, Unternehmen und Privatpersonen problemlos langfristig und zu niedrigen Zinsen große Summen aufnehmen können, die ihr gegenwärtiges Einkommen weit übersteigen.
Dieser Glaube an den immer größer werdenden Kuchen entwickelte eine gewaltige Sprengkraft. Im Jahr 1776 veröffentlichte der schottische Philosoph Adam Smith sein Buch Wohlstand der Nationen , das vielleicht wichtigste wirtschaftliche Manifest aller Zeiten. In den acht Kapiteln des ersten Bandes entwickelte Smith folgenden neuen Gedankengang: Wenn ein Landbesitzer, Weber oder Schuhmacher größere Gewinne erwirtschaftet, als er zum Unterhalt seiner Familie benötigt, dann nutzt er diesen Überschuss, um mehr Mitarbeiter zu beschäftigen und seine Gewinne weiter zu steigern. Je mehr Gewinne er erwirtschaftet, umso mehr Mitarbeiter beschäftigt er. Daraus folgt, dass die Gewinnsteigerung von Unternehmern die Grundlage für den kollektiven Wohlstand ist.
Wenn Sie das nicht sonderlich originell finden, dann liegt das daran, dass wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, die Smiths Gedanken längst verinnerlicht hat. Variationen dieser Idee hören wir in jeder Nachrichtensendung. Doch Smiths Argument, dass das private Gewinnstreben zu kollektivem Wohlstand führt, ist einer der revolutionärsten Gedanken der Menschheitsgeschichte. Revolutionär nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in moralischer und politischer Hinsicht. Mit anderen Worten behauptet Smith nämlich, Gier sei gut, und wenn ich reicher werde, nutze ich damit nicht nur mir selbst, sondern allen. Egoismus ist Altruismus.
Smith brachte den Menschen bei, die Wirtschaft als Win-Win-Situation zu verstehen, in der ein Gewinn für mich auch ein Gewinn für Sie ist. Wir können nicht nur beide ein größeres Stück vom Kuchen abbekommen – Ihr Stück wird nur größer, wenn meines auch größer wird. Wenn ich arm bin, bleiben Sie auch arm, weil ich mir Ihre Produkte oder Dienstleistungen nicht leisten kann. Und wenn ich reich bin, geht es auch Ihnen besser, weil Sie mir jetzt etwas verkaufen können. Smith leugnete den traditionellen Gegensatz zwischen Reichtum und Moral und stieß den Reichen das Tor zum Himmelreich weit auf. Reich zu sein bedeutet, ein moralischer Mensch zu sein. Wenn man Smith glaubt, werden die Reichen nicht deshalb reich, weil sie ihren Nachbarn über den Tisch ziehen, sondern weil sie den Kuchen größer machen. Und wenn der Kuchen größer wird, haben alles etwas davon. Die Reichen sind folglich die größten Wohltäter einer Gesellschaft, denn sie sind der Motor des Wachstums, von dem alle profitieren.
Das hängt allerdings davon ab, dass die Reichen ihre Gewinne nicht verprassen, sondern zum Bau neuer Fabriken und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze verwenden. Smith wiederholte daher gebetsmühlenartig sein Motto »wenn seine Gewinne steigen, beschäftigt der Weber mehr Mitarbeiter« und nicht etwa »wenn seine Gewinne steigen, feiert der Weber ein rauschendes Fest«. Ein entscheidender Faktor der modernen kapitalistischen Wirtschaft ist die Geburt einer neuen Ethik, nach der Gewinne wieder in die Produktion gesteckt werden. Eine Fabrik erzielt Gewinne,
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