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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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Kolonien. Besonders wichtig waren die Zuckerrohrplantagen. Im Mittelalter war der Zucker in Europa ein Luxusgut. Er wurde zu exorbitanten Preisen aus dem Nahen Osten importiert und sparsam als Geheimzutat in Delikatessen und widerlichen Arzneien verwendet. Nachdem in Amerika die ersten Zuckerrohrplantagen errichtet worden waren, kam Zucker in immer größeren Mengen nach Europa. Der Preis verfiel und in Europa entstand ein beispielloser Boom von Süßigkeiten wie Kuchen, Plätzchen, Schokolade, Bonbons und gesüßten Getränken wie Kakao, Kaffee und Tee. Die Europäer wurden zu Schleckermäulern. Der jährliche Zuckerverbrauch eines Engländers stieg in 200 Jahren von null zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf nahezu acht Kilogramm.
    Doch die Zuckerrohrernte und die Zuckerherstellung sind extrem arbeitsintensiv. Niemand wollte freiwillig den ganzen Tag auf malariaverseuchten Feldern und unter der erbarmungslosen tropischen Sonne arbeiten. Wenn die Pflanzer Lohnarbeiter beschäftigt hätten, dann wäre der Preis exorbitant hoch geblieben und die Süßwarenindustrie hätte es vermutlich nie gegeben. Mit ihrem Marktgespür und ihrer Profitgier stellten die europäischen Plantagenbesitzer also auf Sklavenwirtschaft um.
    Zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert wurden rund 10 Millionen Afrikaner als Sklaven nach Amerika verschleppt. Rund 70 Prozent arbeiteten auf Zuckerrohrplantagen. Die Arbeitsbedingungen waren unmenschlich, die meisten Sklaven starben einen qualvollen Tod, und viele weitere Millionen kamen schon während der Sklavenjagd oder auf dem langen Transport vom Innern des afrikanischen Kontinents nach Amerika ums Leben. Und das nur, damit die Europäer Zucker in ihren Tee rühren und Bonbons lutschen konnten – und natürlich, damit die Zuckerbarone riesige Gewinne einstreichen konnten.
    Der Sklavenhandel wurde nicht von Regierungen kontrolliert. Es handelte sich um eine rein wirtschaftliche Unternehmung, die auf dem freien Markt nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage organisiert und finanziert wurde. Private Sklavenhandelsunternehmen verkauften Aktien an den Börsen von Amsterdam, Paris und London. Wohlsituierte europäische Bürger, die eine rentable Geldanlage suchten, kauften diese Aktien. Mit ihrem Geld erwarben die Sklavenhändler Schiffe, heuerten Matrosen und Soldaten an, kauften in Afrika Sklaven und transportierten sie nach Amerika. Dort verkauften sie diese an Plantagenbesitzer und mit dem Ertrag kauften sie Plantagenprodukte wie Zucker, Kakao, Kaffee, Tabak und Baumwolle. Wieder in Europa, verkauften sie Zucker und Baumwolle zu einem guten Preis und segelten dann wieder nach Afrika, um das Spiel von vorn zu beginnen. Die Aktionäre waren zufrieden. Im 18. Jahrhundert erzielten Sklavenaktien eine jährliche Rendite von rund 6 Prozent – das war ausgesprochen gut, wie ein moderner Anlageberater sofort zugeben würde.
    Das ist die Fliege in der Suppe der Marktwirtschaft. Der Markt kann allein nicht sicherstellen, dass die Gewinne auf faire Art und Weise erzielt oder verteilt werden. Im Gegenteil, die Gier nach immer größeren Profiten und immer mehr Produktion macht viele Menschen blind für alles, was das Wirtschaftswachstum in Frage stellen könnte. Wenn Wachstum das höchste Gut wird und nicht durch eine unabhängige moralische Instanz kontrolliert wird, führt dies schnell zur Katastrophe. Religionen wie das Christentum oder der Nationalsozialismus haben Millionen von Menschen aus glühendem Hass ermordet. Der Kapitalismus hat Millionen von Menschen aus Gleichgültigkeit getötet. Der transatlantische Sklavenhandel hatte seine Ursache nicht im Hass gegen die Afrikaner. Die Anleger, die Aktien der Sklavenhändler kauften, die Börsenhändler, die sie verkauften, und selbst die Direktoren der Sklavenhandelsunternehmen verschwendeten kaum einen Gedanken an die Afrikaner. Genauso wenig wie die Besitzer der Zuckerrohrplantagen. Viele Pflanzer lebten fern ihrer Plantagen und interessierten sich nur für die Bilanz.
    Der transatlantische Sklavenhandel war keineswegs die einzige Verirrung eines ansonsten blitzsauberen Systems. Die im vorigen Kapitel erwähnte Hungersnot von Bengalen war das Ergebnis einer ganz ähnlichen Dynamik: Es konnte nur dazu kommen, weil sich die Britische Ostindiengesellschaft mehr für ihre Gewinne als für das Leben von 10 Millionen Indern interessierte. Die Eroberungskriege der VOC in Indonesien wurden von freundlichen niederländischen Bürgern finanziert, die ihre Kinder

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