Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
Vom Netzwerk:
liebten, Geld für wohltätige Zwecke spendeten, Musik und Kunst genossen und keinen Gedanken an das Elend in Java, Sumatra und Malakka verschwendeten. Auch in anderen Teilen des Planeten ging das Wachstum der modernen Wirtschaft mit zahllosen Verbrechen einher.
    *
    Im 19. Jahrhundert besserte sich die Ethik der Kapitalisten nicht. Die Industrielle Revolution, die über Europa hinwegfegte, bereicherte Bankiers und Kapitaleigentümer und verdammte Millionen von Arbeitern zu einem Leben in Elend und Armut. In den europäischen Kolonien war die Situation noch schlimmer. Daher gründete der belgische König Leopold I. im Jahr 1876 eine private humanitäre Organisation, die es sich zum Ziel setzte, Zentralafrika zu erforschen, den Sklavenhandel im Kongobecken zu bekämpfen und die Lebensbedingungen im Kongo durch den Bau von Straßen, Schulen und Krankenhäuser zu verbessern. Im Jahr 1885 überließen die europäischen Mächte dieser Organisation die Kontrolle über 2,3 Millionen Quadratkilometer Land im Kongobecken. Dieses Gebiet, das 75-Mal so groß war wie Belgien, hieß fortan »Freistaat Kongo«. Die 20 bis 30 Millionen Einwohner der Region wurden nicht gefragt.
    Innerhalb kürzester Zeit entpuppte sich die humanitäre Organisation als Unternehmen, das in Wirklichkeit nur auf Wachstum und Profit aus war. Vergessen waren die Schulen und Krankenhäuser. Stattdessen wurden im Kongobecken Bergwerke und Plantagen errichtet, die von belgischen Beamten geleitet wurden. Die Bevölkerung wurde erbarmungslos ausgebeutet. Die Kautschukindustrie war besonders berüchtigt. Gummi wurde damals zu einem wichtigen industriellen Rohstoff, und der Gummiexport war die Haupteinnahmequelle des Kongo. Die Dorfbewohner wurden gezwungen, immer größere Mengen Kautschuk abzuliefern. Wer die Quote nicht erreichte, wurde brutal für seine »Faulheit« bestraft. Den »Schuldigen« wurden die Arme abgehackt, ganze Dörfer wurden massakriert. Nach zurückhaltenden Schätzungen kostete die Profitgier der Belgier zwischen 1885 und 1908 rund 6 Millionen Kongolesen (mindestens 20 Prozent der Bevölkerung) das Leben. Andere Schätzungen sprechen sogar von bis zu 10 Millionen Opfern. 98
    Nach 1908 und vor allem nach 1945 wurde die Gier der Kapitalisten durch die Furcht vor dem Kommunismus ein wenig gedämpft. Doch die Ungleichheit grassiert weiter. Heute ist der Kuchen zwar um ein Vielfaches größer als im Jahr 1500, doch er ist so ungleich verteilt, dass viele afrikanische Bauern und indonesische Arbeiter nach einem anstrengenden Arbeitstag mit einem kleineren Krümel nach Hause kommen als ihre Vorfahren vor 500 Jahren. Es ist gut möglich, dass sich das moderne Wirtschaftswachstum als ebenso gigantischer Betrug erweist wie die landwirtschaftliche Revolution. Die Menschheit und die Weltwirtschaft wachsen zwar immer weiter, doch die Lebensbedingungen der einzelnen Menschen verbessern sich dadurch noch lange nicht.
    Auf diese Kritik hat der Kapitalismus zwei Antworten. Erstens hat der Kapitalismus eine Welt geschaffen, die nur noch von Kapitalisten beherrscht werden kann. Der einzige ernstzunehmende Versuch, die Welt anders zu organisieren – der Kommunismus –, war in fast jeder Hinsicht so viel schlechter, dass kaum jemand ein Interesse daran hat, ihm eine zweite Chance zu geben. Vor 12000 Jahren konnte man bittere Tränen über die landwirtschaftliche Revolution vergießen, doch es war zu spät, um das Ruder noch einmal herumzureißen. Genauso verhält es sich mit dem Kapitalismus: Wir mögen ihn noch so sehr hassen, aber wir können nicht mehr ohne ihn leben.
    Die zweite Antwort lautet, dass wir einfach ein bisschen Geduld haben müssen, und dass das Paradies zum Greifen nahe sei. Natürlich seien Fehler gemacht worden, und natürlich sei der transatlantische Sklavenhandel und die Ausbeutung der europäischen Arbeiterklasse verwerflich gewesen. Aber man habe aus diesen Fehlern gelernt, und wenn wir nur noch ein bisschen warten und den Kuchen nur noch ein bisschen wachsen ließen, dann bekomme ganz bestimmt jeder ein größeres Stück ab. Natürlich werde er nie gleich verteilt werden, aber es werde genug da sein, um jeden Mann, jede Frau und jedes Kind zufriedenzustellen – sogar im Kongo.
    Es gibt in der Tat ein paar positive Anzeichen. Zumindest nach rein materiellen Gesichtspunkten wie Lebenserwartung, Kindersterblichkeit und Kalorienaufnahme zu urteilen, genießt der durchschnittliche Erdenbürger im Jahr 2013 einen deutlich höheren

Weitere Kostenlose Bücher