Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
besteuert und mit den Einnahmen großzügige Arbeitslosengelder bezahlt, weil dies bei den Wählern gut ankommt. Ihrer Ansicht nach wäre es sinnvoller, wenn die Regierung das Geld bei den Unternehmern belassen hätte, damit diese neue Fabriken errichten und die Arbeitslosen in Lohn und Brot setzen.
Nach Ansicht dieser Kritiker sollte sich die Politik aus der Wirtschaft heraushalten, Steuern und staatliche Kontrolle auf ein Minimum reduzieren und die Kräfte des Marktes agieren lassen. Private Anleger, die nicht von politischem Kalkül belastet sind, wissen am besten, wo sie ihre Gewinne investieren müssen; wenn der Staat sie nur frei agieren ließe, würde die Wirtschaft exponentiell wachsen und die Welt wäre glücklich, gerecht und frei. Das ist der Grundgedanke des Kultes der freien Marktwirtschaft, der wichtigsten Spielart der kapitalistischen Religion. Die Anhänger dieses Kults beobachten die Regierung mit Argusaugen und geißeln militärische Abenteuer im Ausland genauso wie staatliche Sozialhilfeprogramme zu Hause. Diese Gurus der Marktwirtschaft haben ein Mantra, das sie den Politikern unentwegt einbläuen: »Mischt euch nicht ein«.
In dieser extremen Form ist der Glaube an den Markt vermutlich genauso naiv wie der Glaube an das Christkind, denn einen Markt ohne politische Eingriffe gibt es nicht. Die wichtigste wirtschaftliche Ressource ist das Vertrauen in die Zukunft, und diese Ressource wird ständig von Betrügern und Scharlatanen bedroht. Die Märkte selbst bieten keinen Schutz vor Missbrauch. Es ist die Aufgabe des politischen Systems, Betrüger zu bestrafen und dazu Armeen, Polizeikräfte, Gerichte und Gefängnisse bereitzustellen. Wenn Regierungen ihre Aufgaben versäumen und den Markt nicht ausreichend kontrollieren, schwindet das Vertrauen, niemand vergibt mehr Kredite und die Wirtschaft bricht ein. Das belegt die Mississippi-Blase des Jahres 1719 genauso eindrucksvoll wie das Platzen der Immobilienblase in den Vereinigten Staaten im Jahr 2007 und die darauf folgende weltweit Finanzkrise.
Die Hölle der Kapitalisten
Es gibt noch einen ganz elementaren Grund, warum man den Märkten nie völlig freie Hand lassen sollte. Dazu erzählt Adam Smith eine einfache Geschichte: »Wenn ein Schuhmacher größere Gewinne erwirtschaftet, als er seiner Ansicht nach zum Unterhalt seiner Familie benötigt, nutzt er diesen Überschuss, um mehr Mitarbeiter zu beschäftigen.« Das bedeutet, dass Egoismus und Gier allen nützen, da der Überschuss verwendet wird, um die Produktion auszuweiten und mehr Mitarbeiter zu beschäftigen.
Aber was passiert, wenn der gierige Schuhmacher seine Profite steigert, indem er seinen Mitarbeitern weniger bezahlt und sie länger arbeiten lässt? Die übliche Antwort lautet, dass der Markt die Mitarbeiter schützt. Wenn der Schuhmacher miserable Bezahlung und Arbeitsbedingungen bietet, dann kündigen seine besten Mitarbeiter einfach und gehen zur Konkurrenz. Dann laufen dem tyrannische Schuhmacher nach und nach alle Mitarbeiter weg, und wenn er sich nicht bessert, kann er seinen Laden bald dichtmachen. Seine eigene Gier wäre also Grund genug, seine Mitarbeiter gut zu behandeln.
Theoretisch klingt das vernünftig, doch die Wirklichkeit sieht anders aus. In einem vollkommen freien Markt, der nicht von Herrschern und Priestern kontrolliert wird, können gierige Kapitalisten Monopole errichten oder sich gegen ihre Arbeitnehmer verbünden. Wenn die Schuhproduktion eines Landes von einem einzigen Unternehmen kontrolliert wird, oder wenn sich alle Fabrikbesitzer absprechen und die Löhne gleichzeitig senken, dann können sich die Arbeitnehmer nicht mehr schützen, indem sie sich einen neuen Arbeitgeber suchen.
Schlimmer noch, die gierigen Bosse können harte Arbeitsgesetze erlassen, um die Bewegungsfreiheit der Arbeitnehmer einzuschränken, sie können ihre Arbeitnehmer in die Schuldknechtschaft zwingen oder ganz einfach die Sklaverei einführen. Im ausgehenden Mittelalter war die Sklaverei im christlichen Europa so gut wie unbekannt. In der frühen Neuzeit ging der Aufstieg des Kapitalismus Hand in Hand mit dem transatlantischen Sklavenhandel. Für diese Katastrophe waren keine Tyrannen oder Rassisten verantwortlich, sondern die ungezügelten Kräfte des Marktes.
Als die Europäer Amerika eroberten, erschlossen sie Gold- und Silberminen und legten Zuckerrohr-, Tabak- und Baumwollpflanzungen an. Die Bergwerke und Plantagen waren das Standbein der Produktion und des Exports der
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