Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
magischen Verwandlungen vornehmen konnte: den Körper. In natürlichen Stoffwechselprozessen verbrennt der Körper organische Brennstoffe namens Nahrung und übersetzt die freigesetzte Energie in Muskelbewegungen. Wir essen Brot, verbrennen die enthaltenen Kohlenhydrate und Fette und bewegen mit dieser Energie unsere Arme und Beine, um einen Karren zu ziehen.
Da tierische und menschliche Körper die einzigen Maschinen waren, die Energie umwandeln konnte, stand bei fast allen Tätigkeiten die Muskelkraft im Mittelpunkt. Menschliche Muskeln bauten Karren und Häuser, die Muskeln von Ochsen pflügten Felder, die Muskeln von Pferden transportierten Güter. Die Energie, mit der diese organischen Muskelmaschinen betrieben wurden, stammte letztlich aus einer einzigen Quelle: den Pflanzen. Und diese Pflanzen wiederum erhielten ihre Energie von der Sonne. Im Prozess der Photosynthese nahmen sie Sonnenenergie auf und speicherten sie in organischen Verbindungen. Fast alles, was der Mensch tat, wurde also von Sonnenenergie betrieben, die von Pflanzen eingefangen und in Muskelkraft übersetzt wurde.
Die menschliche Geschichte wurde daher lange von zwei großen Kreisläufen beherrscht: dem Wachstumskreislauf der Pflanzen und den Kreisläufen der Sonnenenergie (dem Tages- und dem Jahreszyklus). Solange die Sonnenenergie knapp und der Weizen noch nicht reif war, hatten die Menschen wenig Energie. Die Scheunen waren leer, die Steuereintreiber untätig, die Soldaten träge, und die Könige hielten Frieden. Wenn die Sonne hoch am Himmel stand und der Weizen goldgelb wurde, fiel der Startschuss. Die Bauern brachten die Ernte ein und füllten ihre Scheunen. Die Steuereintreiber eilten herbei, um ihren Anteil zu kassieren. Die Soldaten spannten die Muskeln und schärften die Schwerter. Die Könige beriefen ihre Räte ein und planten den nächsten Feldzug. Alle wurden von der Sonnenenergie befeuert – eingefangen und frei Haus geliefert von Weizen und Kartoffeln.
Das Geheimnis in der Küche
Jahrtausendelang hatten die Menschen tagtäglich Umgang mit der wichtigsten Erfindung in der Geschichte der Energieerzeugung, ohne es zu bemerken. Jedes Mal, wenn sie Wasser erhitzten, um sich einen Tee, eine Suppe oder Kartoffeln zu kochen, und den Topf einen Moment lang auf dem Feuer vergaßen, hörten sie in der Küche den Deckel klappern und rannten zurück. Vor ihren Augen wurde Wärmeenergie in Bewegung übersetzt, ohne dass dazu ein menschlicher oder tierischer Stoffwechsel nötig gewesen wäre. Aber das fiel niemandem auf. Die Vorstellung, dass man etwas verbrennen könnte, um etwas anderes zu bewegen, war der menschlichen Vorstellungskraft einfach zu fremd.
Ein teilweiser Durchbruch bei der Übersetzung von Wärme in Bewegung war die Erfindung von Feuerwaffen. Als die Chinesen im 9. Jahrhundert das Schießpulver erfanden, verwendeten sie es zunächst zum Bau von Bomben und Minen. Es dauerte Jahrhunderte, ehe sie die in der Explosion erzeugte Hitze verwendeten, um Geschosse zu befördern – vielleicht hatte ein Bombenbastler sein Pulver in einem Mörser zerstoßen und sich gewundert, als es knallte und der Stößel davonflog. Die erste funktionstüchtige Kanone fauchte erst 600 Jahre nach der Erfindung des Schießpulvers auf den Schlachtfeldern Asiens und Europas.
Doch der Gedanke, dass sich Wärme in Bewegung übersetzen lassen sollte, schien nach wie vor derart abwegig, dass nach der Geburt der Artillerie noch drei Jahrhunderte vergehen sollten, ehe jemand eine Maschine erfand, die sich ohne Muskelkraft bewegte. Diese bahnbrechende Erfindung stammte aus den britischen Kohlebergwerken. Als die Bevölkerung von England und Schottland wuchs, wurden die Wälder gerodet, um Äcker anzulegen, Häuser zu bauen und Energie für die expandierende Wirtschaft zu liefern. Als das Feuerholz knapp wurde, sahen die Briten den Ersatz in der Kohle. Viele der neuen Kohlebergwerke lagen in feuchten Regionen und das eindringende Grundwasser verhinderte einen Abbau der Kohle in tieferliegenden Flözen. Es war dringend eine Lösung gefragt. Gegen 1700 drang ein sonderbares Geräusch aus den Schächten der Bergwerke. Dieses Geräusch – ein Vorbote der Industriellen Revolution – war zunächst kaum vernehmbar, doch mit jedem Jahrzehnt wurde es lauter, bis die ganze Erde unter dem ohrenbetäubenden Lärm erzitterte. Dieses sonderbare Geräusch stammte von einer Dampfmaschine.
Es gibt verschiedene Arten von Dampfmaschinen, doch das Prinzip ist immer
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