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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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verschieden sind! Aber wir glauben, dass alle Menschen in ihrem Wesen gleich sind, und auf dieser Grundlage können wir eine stabile und wohlhabende Gesellschaft schaffen! Also sollten wir auch daran glauben!« Womit sie natürlich Recht hätten. Genau das meint ja auch der Begriff »erfundene Ordnung«: Wir glauben an eine allgemeingültige Ordnung, nicht weil sie wahr ist, sondern weil sie uns das Zusammenleben ermöglicht. Auch Hammurabi hätte vielleicht zugegeben: »Ich weiß, dass die Menschen nicht von Natur aus in Freigeborene, Gemeine und Sklaven eingeteilt sind. Aber wenn wir an diese Einteilung glauben, können wir eine stabile und wohlhabende Gesellschaft schaffen! Also sollten wir auch daran glauben!«
    Glaube versetzt Berge
    Vielleicht hat es Sie bei der Lektüre der letzten Absätze geschüttelt. Die meisten von uns haben gelernt, so zu reagieren. Es fällt uns leicht, Hammurabis Kodex als Mythos zu begreifen, aber wir wollen nicht hören, dass auch die Menschenrechte nicht mehr als ein Mythos sind. Würde unsere Gesellschaft nicht zusammenbrechen, wenn die Menschen erkennen, dass die Menschenrechte ein Fantasieprodukt sind? Voltaire erklärte zum Beispiel, dass es keinen Gott gebe, und fügte hinzu: »Mein Anwalt, Schneider, Kammerdiener, selbst meine Frau, sollen an Gott glauben; ich glaube dann nämlich weniger beraubt und betrogen zu werden.« Genau das hätte Hammurabi über das Prinzip der Ungleichheit und die Väter der amerikanischen Verfassung über die Menschenrechte sagen können. Der Homo sapiens hat genauso wenig natürliche Rechte wie Spinnen, Hyänen und Schimpansen. Aber wenn Sie nicht bestohlen werden wollen, sagen Sie das besser nicht Ihrem Anwalt oder Ihrem Schneider.
    Solche Befürchtungen sind berechtigt. Eine natürliche Ordnung ist eine stabile Ordnung. Die Schwerkraft wird nicht mit einem Mal aufhören zu existieren, nur weil wir nicht mehr an sie glauben. Im Gegensatz dazu läuft eine erfundene Ordnung ständig Gefahr, in sich zusammenzufallen wie ein Kartenhaus, weil sie auf Mythen gebaut ist, und weil Mythen verschwinden, wenn niemand mehr an sie glaubt. Um eine erfundene Ordnung aufrechtzuerhalten, sind konstant große Anstrengungen erforderlich. Einige dieser Anstrengungen können durchaus die Form von Zwang und Gewalt annehmen. Polizei und Streitkräfte, Gerichte und Gefängnisse zwingen uns dazu, uns an die erfundene Ordnung zu halten. Wenn ein Babylonier seinem Nachbarn ein Auge ausstach, dann war in der Regel ein gewisses Maß an Zwang erforderlich, um das Gesetz »Auge um Auge« durchzusetzen. Und als im Jahr 1860 die Mehrheit der Bürger der Vereinigten Staaten zu dem Schluss kam, dass afrikanische Sklaven auch Menschen waren und daher ein Recht auf Freiheit hatten, musste ein blutiger Bürgerkrieg geführt werden, um diese Vorstellung auch im Süden des Landes durchzusetzen.
    Doch um eine erfundene Ordnung aufrechtzuerhalten, reichen Zwang und Gewalt allein nicht aus. Dazu müssen viele Menschen wirklich überzeugt sein. Der chamäleonhafte Staatsmann Charles-Maurice de Talleyrand, der seine Karriere unter dem französischen König Ludwig XVI . begann, den Revolutionären und Napoleon diente, um seine Laufbahn schließlich unter der neuen Monarchie zu beenden, brachte seine politische Erfahrung so auf den Punkt: »Sire, Sie können mit einem Bajonett alles machen, aber Sie können nicht darauf sitzen.« Ein einzelner Geistlicher richtet manchmal mehr aus als hundert Soldaten, und vor allem ist er billiger und effektiver.
    Aber egal wie wirkungsvoll Bajonette sein mögen, irgendjemand muss sie benutzen. Und warum sollten Soldaten, Gefängniswärter, Richter und Polizisten eine erfundene Ordnung aufrechterhalten, an die sie gar nicht glauben? Von allen menschlichen Tätigkeiten ist keine schwerer zu organisieren als die Gewalt. Wenn eine Gesellschaftsordnung durch militärische Gewalt aufrechterhalten wird, stellt sich sofort die Frage: Was hält die militärische Ordnung aufrecht? Es ist unmöglich, eine Armee ausschließlich mithilfe von Zwang zu organisieren. Zumindest ein Teil der Offiziere und Soldaten muss an irgendetwas glauben, sei es an Gott, Ehre, Vaterland, Männlichkeit oder Geld.
    Eine interessantere Frage stellt sich an der Spitze der gesellschaftlichen Pyramide. Warum sollte die Elite ein Interesse daran haben, eine Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten, an die sie gar nicht glaubt? Man hört oft, die Elite tue dies nur aus Zynismus und Gier. Aber

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