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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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verloren, so wird er 10 Schekel Silber für ihre Leibesfrucht zahlen.
    210. Gesetzt dieselbe Frau stirbt, dann wird man seine Tochter töten.
    211. Gesetzt, ein Mann hat eine Gemeine geschlagen und sie hat dadurch ihre Leibesfrucht verloren, so wird er 5 Schekel Silber für ihre Leibesfrucht zahlen.
    212. Gesetzt dieselbe Frau stirbt, so wird er 30 Schekel Silber zahlen.
    213. Gesetzt, ein Mann hat eine Sklavin geschlagen und sie hat dadurch ihre Leibesfrucht verloren, so wird er 2 Schekel Silber zahlen.
    214. Gesetzt dieselbe Frau stirbt, so wird er 20 Schekel Silber zahlen. 40
    Nach der Auflistung der Vergehen und Strafen erklärt Hammurabi:
    Rechtssatzungen, die Hammurabi, der mächtige König festgesetzt hat, und durch die er dem Land wahres Heil und eine gute Regierung hat zukommen lassen. Hammurabi, der vollkommene König, bin ich. Für die Schwarzköpfigen, die mir der Gott Enlil anvertraut hat, deren Hütung mir der Gott Marduk übertragen hat, war ich nicht müde und habe meine Hände nicht in den Schoß gelegt. 41
    Hammurabi macht also klar, dass die babylonische Gesellschaftsordnung in allgemeinen und für alle Zeiten gültigen Rechtsgrundsätzen verankert ist und von den Göttern diktiert wurde. Besonders wichtig ist das Prinzip der Ungleichheit. Das Gesetz unterscheidet drei Klassen: Freigeborene, Gemeine und Sklaven. Die Angehörigen dieser Klassen haben unterschiedlichen Wert: Das Leben einer Gemeinen ist 30 Schekel Silber wert, das Leben einer Sklavin 20 Schekel, das Auge eines Freigeborenen dagegen 60 Schekel.
    Der Kodex stellt auch strenge Hierarchien innerhalb der Familie auf. Zum Beispiel sind die Kinder keine eigenständigen Personen, sondern Eigentum der Eltern. Wenn also ein Freigeborener die Tochter eines anderen Freigeborenen tötet, wird zur Strafe seine Tochter hingerichtet. Es mag uns befremden, dass der Mörder ungestraft davonkommt, während seine unschuldige Tochter getötet wird, doch in den Augen Hammurabis und der Babylonier scheint dies ein Fall von mustergültiger Gerechtigkeit gewesen zu sein. Hammurabis Kodex versprach den Untertanen, wenn sie ihren Platz in der Hierarchie einnähmen und sich nach den Gesetzen verhielten, dann würden sie sicher und friedlich in einer gerechten und wohlhabenden Gesellschaft zusammenleben.
    Dreieinhalb Jahrtausende nach Hammurabis Tod machte sich unter den Einwohnern der dreizehn britischen Kolonien in Nordamerika die Überzeugung breit, der König von England behandele sie ungerecht. Am 4. Juli 1776 versammelten sich ihre Vertreter daher in der Stadt Philadelphia und sagten sich von der britischen Krone los. In ihrer Unabhängigkeitserklärung skizzierten sie allgemeine und für alle Zeiten gültige Rechtsgrundsätzen, die sich – genau wie die Gesetze Hammurabis – auf die göttliche Macht beriefen. Doch der amerikanische Gott forderte das genaue Gegenteil dessen, was die babylonischen Götter verlangten. In der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten heißt es nämlich:
    Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören … 42
    Wie Hammurabis Kodex verspricht diese Gründungsurkunde der Vereinigten Staaten den Bürgern, wenn sie sich an diese heiligen Prinzipien hielten, dann würden sie sicher und friedlich in einer gerechten und wohlhabenden Gesellschaft zusammenleben. Und wie der Kodex des babylonischen Herrschers überzeugte die Unabhängigkeitserklärung auch die nachfolgenden Generationen: Noch mehr als zwei Jahrhunderte später schreiben Schulkinder diesen Text ab und lernen ihn auswendig.
    Diese beiden Texte stellen uns vor ein Dilemma. Sowohl Hammurabis Kodex als auch die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten nehmen für sich in Anspruch, allgemeine und für alle Zeiten gültige Grundsätze aufzustellen. Doch nach dem amerikanischen Dokument sind alle Menschen gleich, und nach dem babylonischen sind alle Menschen ungleich. Einer der beiden Texte muss Unrecht haben. Die Amerikaner würden natürlich behaupten, dass sie Recht haben und Hammurabi Unrecht. Und Hammurabi würde mit derselben Überzeugung erwidern, dass er Recht hat und die Amerikaner Unrecht. Historiker sind der Auffassung, dass beide Unrecht haben. Sowohl Hammurabi als auch die amerikanischen Verfassungsväter stellten sich eine Welt vor, die von

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