Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
verschwindet oder ändert sich, wenn dieser Mensch seine Vorstellungen revidiert. Viele Kinder glauben an die Existenz eines »imaginären Freundes«, den andere weder sehen noch hören können. Dieser imaginäre Freund lebt nur in der Fantasie des Kindes, und er verschwindet, wenn das Kind größer wird und nicht mehr an ihn glaubt.
Intersubjektiv ist schließlich etwas, das innerhalb eines Kommunikationsnetzwerks existiert, das die subjektiven Wahrnehmungen vieler Menschen miteinander verknüpft. Wenn ein Einzelner seine Vorstellungen revidiert oder stirbt, hat dies kaum Auswirkungen. Wenn jedoch die meisten Menschen in diesem Netzwerk sterben oder ihre Überzeugungen überdenken, verändert sich das intersubjektive Phänomen oder verschwindet. Viele der wichtigsten Akteure der Geschichte sind intersubjektiv: Gesetze, Geld, Götter und Nationen.
Peugeot ist beispielsweise nicht der imaginäre Freund des Vorstandsvorsitzenden von Peugeot. Das Unternehmen existiert in der kollektiven Vorstellung von Millionen von Menschen. Warum glaubt der Vorstandsvorsitzende an die Existenz des Unternehmens? Weil die Mitglieder des Aufsichtsrats daran glauben, genau wie die Anwälte des Unternehmens, die Sekretärinnen, die Bankangestellten, die Börsenmakler und alle Vertragshändler zwischen Frankreich und Australien. Wenn der Vorstandsvorsitzende plötzlich nicht mehr an die Existenz von Peugeot glauben würde, dann würde er schnell in der Klapsmühle landen und jemand anders käme auf seinen Chefsessel.
Genauso existieren Euros, Menschenrechte oder die Europäische Union nur in der gemeinsamen Vorstellung von Milliarden von Menschen. Deshalb kann sie ein Einzelner nicht in ihrer Existenz gefährden. Wenn ich als Einziger nicht mehr an den Euro, die Menschenrechte oder die Europäische Union glaube, dann hat das nicht die geringsten Auswirkungen. Diese erfundenen Ordnungen sind intersubjektiv, und um sie zu ändern, müssten wir gleichzeitig das Bewusstsein von Milliarden von Menschen ändern, und das ist keine einfache Aufgabe. Veränderungen dieser Größenordnung lassen sich nur von komplexen Organisationen bewerkstelligen, zum Beispiel Parteien, ideologischen Bewegungen oder religiösen Kulten. Um eine derart komplexe Organisation auf die Beine zu stellen, müssten wir wiederum Abermillionen von Menschen zur Zusammenarbeit bewegen. Das gelingt uns jedoch nur, wenn wir diese Menschen dazu bringen, an gemeinsame Mythen zu glauben. Das heißt, um eine bestehende erfundene Ordnung zu ändern, müssen wir erst an eine andere erfundene Ordnung glauben.
Um Peugeot zu zerschlagen, müssten wir uns erst etwas Stärkeres vorstellen, zum Beispiel das französische Rechtssystem. Um das französische Rechtssystem zu beseitigen, müssten wir uns etwas noch Stärkeres vorstellen, zum Beispiel den französischen Staat. Um den französischen Staat aufzulösen, müssten wir uns die Europäische Union vorstellen. Und um diese zu zerschlagen, wäre eine noch stärkere Instanz nötig.
Es gibt also keinen Ausweg aus der erfundenen Ordnung. Wenn wir die Gefängnismauern niederreißen, um in die Freiheit zu laufen, landen wir unweigerlich im Hof eines noch größeren Gefängnisses.
35 Angus Maddison, The World Economy , Band 2 (Paris: Development Centre of the Organization of Economic Co-operation and Development, 2006), S. 636; »Historical Estimates of World Population«, U.S. Census Bureau, Stand: 10. Dezember 2010, http://www.census.gov/ipc/www/worldhis.html .
36 Robert B. Mark, The Origins of the Modern World: A Global and Ecological Narrative (Lanham, MD: Rowman & Littlefield Publishers, 2002), S. 24.
37 Raymond Westbrook, »Old Babylonian Period«, in A History of Ancient Near Eastern Law , Band 1, hrg. v. Raymond Westbrook (Leiden: Brill, 2003), S. 361–430; Martha T. Roth, Law Collections from Mesopotamia and Asia Minor , 2. Ausgabe (Atlanta: Scholars Press, 1997), S. 71–142; M. E. J. Richardson, Hammurabi‘s Laws: Text, Translation and Glossary (London: T & T Clark International, 2000).
38 Roth, Law Collections from Mesopotamia , S. 76. Deutsches Zitat: Hugo Winckler: Die Gesetze Hammurabis, Königs vonBabylon, um 2250 v. Chr.: Das älteste Gesetzbuch der Welt . (Leipzig: J. C. Hinrichs, 1902), S. 3.
39 Roth, Law Collections from Mesopotamia , S. 121. Deutsches Zitat: Hugo Gressmann, Altorientalische Texte zum Alten Testament , (Berlin: de Gruyter, 1926), S. 380 ff. http://www.koeblergerhard.de/Fontes/CodexHammurapi_de.htm
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