Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
noch ein anderes Teilchen enthält, das Neutron, das fast die gleiche Masse hat wie ein Proton, aber keine elektrische Ladung. Chadwick erhielt für seine Entdeckung den Nobelpreis und wurde zum «Master» des Gonville and Caius College in Cambridge gewählt (des Colleges, an dem ich heute als «Fellow» tätig bin). Später trat er wegen Meinungsverschiedenheiten mit seinen Kollegen zurück. Nachdem eine Gruppe junger Wissenschaftler aus dem Krieg zurückgekehrt war und viele der älteren Kollegen aus Ämtern abwählte, die diese schon seit langem innehatten, herrschte erbitterter Streit am College. Das war vor meiner Zeit: Ich arbeite dort seit 1965. Da war dieser Streit schon beigelegt, aber ähnliche Reibereien zwangen den damaligen «Master», Sir Nevill Mott, gleichfalls Nobelpreisträger, zum Rücktritt.
Noch vor dreißig Jahren glaubte man, Protonen und Neutronen seien «Elementarteilchen», doch Ergebnisse von Experimenten, bei denen man Protonen mit hoher Geschwindigkeit auf andere Protonen oder auf Elektronen prallen ließ, wiesen darauf hin, daß sie tatsächlich aus noch kleineren Teilchen bestehen. Der Physiker Murray Gell-Mann vom California Institute of Technology erhielt 1969 den Nobelpreis für seine Arbeit über diese Teilchen, die er Quarks nannte. Der Name ist einem rätselhaften Satz aus einem Roman von James Joyce entlehnt: «Three quarks for Muster Mark!» Eigentlich soll das a in Quark ausgesprochen werden wie das o in Bord, doch meistens spricht man es so, daß es sich auf Sarg reimt.
Es gibt verschiedene Arten von Quarks: sechs «Flavors» sind bekannt, die wir Up, Down, Strange, Charm, Bottom und Top nennen. Die ersten drei Flavors kennt man seit den sechziger Jahren, während das Charm-Quark erst 1974, das Bottom-Quark 1977 und das Top-Quark 1995 entdeckt wurde. Jedes «Flavor» kommt in drei «Farben» vor: Rot, Grün und Blau. (Es sei angemerkt, daß dies bloße Bezeichnungen sind: Die Größe von Quarks liegt weit unter der Wellenlänge des sichtbaren Lichts; sie haben deshalb keine Farbe im üblichen Sinne. Moderne Physiker scheinen einfach mehr Phantasie bei der Benennung neuer Teilchen und Erscheinungen zu entwickeln – sie beschränken sich dabei nicht mehr auf das Griechische!) Ein Proton oder Neutron besteht aus drei Quarks, einem von jeder Farbe. Ein Proton enthält zwei Up-Quarks und ein Down-Quark. Ein Neutron enthält zwei Down-Quarks und ein Up-Quark. Wir können Teilchen herstellen, die aus den anderen Quarks bestehen (Strange, Charm, Bottom und Top), aber sie haben alle eine sehr viel größere Masse und zerfallen rasch in Protonen und Neutronen.
Wir wissen heute, daß weder die Atome noch die Protonen und Neutronen, die sie enthalten, unteilbar sind. Deshalb lautet die Frage: Welches sind die wirklichen Elementarteilchen, die Grundbausteine, aus denen alles besteht? Da die Wellenlänge des Lichts sehr viel größer als ein Atom ist, werden wir niemals einen «Blick» in der üblichen Weise auf die Bestandteile des Atoms werfen können. Dazu müssen wir etwas verwenden, das eine erheblich kürzere Wellenlänge hat. Wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, sagt uns die Quantenmechanik, daß alle Teilchen Wellen sind; je höher die Energie eines Teilchens, desto geringer die Länge der entsprechenden Welle. Deshalb hängt die beste Antwort auf unsere Frage von der Teilchenenergie ab, die uns zur Verfügung steht, denn diese entscheidet darüber, wie klein die Abstände sind, die wir ins Auge fassen können. Gewöhnlich wird die Teilchenenergie in Elektronenvolt gemessen. (Wie beschrieben, benutzte Thomson in seinem Experiment ein elektrisches Feld zur Beschleunigung der Elektronen. Ein Elektronenvolt ist die Energie, die ein Elektron aus einem elektrischen Feld von einem Volt gewinnt.) Im 19. Jahrhundert, als man nur die geringe Teilchenenergie der wenigen Elektronenvolt zu nutzen verstand, die bei chemischen Reaktionen wie dem Verbrennen frei werden, hielt man die Atome für die kleinsten Einheiten. In Rutherfords Experiment hatten die Alpha-Teilchen Energien von einigen Millionen Elektronenvolt. In den letzten Jahrzehnten hat man Verfahren entwickelt, um Teilchen mittels elektromagnetischer Felder Energien von vielen Millionen, später sogar Milliarden Elektronenvolt zu geben. Und daher wissen wir, daß Teilchen, die noch vor dreißig Jahren als «elementar» galten, in Wirklichkeit aus noch kleineren Teilchen bestehen. Ob sich, wenn wir noch höhere Energien
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