Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
Teilchen zweier großer Körper wie der Erde und der Sonne zu einer beträchtlichen Größe. Die anderen drei Kräfte wirken entweder nur über kurze Entfernungen, oder sie treten manchmal als Anziehungs- und manchmal als Abstoßungskräfte in Erscheinung, so daß sie sich großenteils aufheben. Aus der Sicht der Quantenmechanik wird im Gravitationsfeld die Kraft zwischen zwei Materieteilchen von einem Teilchen mit Spin 2 getragen, dem Graviton. Es besitzt keine eigene Masse; deshalb hat die Kraft, die es trägt, eine große Reichweite. Die Massenanziehung zwischen Sonne und Erde wird dem Austausch von Gravitonen zwischen den Teilchen zugeschrieben, aus denen die beiden Himmelskörper bestehen. Obwohl die ausgetauschten Teilchen «virtuell» sind, rufen sie doch zweifellos einen meßbaren Effekt hervor: Sie lassen die Erde um die Sonne kreisen! Wirkliche Gravitonen bilden das, was man in der klassischen Physik Gravitationswellen nennen würde. Sie sind sehr schwach und so schwer zu entdecken, daß man sie noch nie beobachtet hat.
Die nächste Kategorie ist die elektromagnetische Kraft, die wechselwirkt mit elektrisch geladenen Teilchen wie Elektronen und Quarks, nicht aber mit nicht geladenen Teilchen wie Gravitonen. Sie ist sehr viel stärker als die Gravitation: Die elektromagnetische Kraft ist ungefähr eine Million Millionen Millionen Millionen Millionen Millionen Millionen (eine 1 mit 42 Nullen) mal größer als die Gravitation. Es gibt jedoch zwei Arten von elektrischen Ladungen, positive und negative. Die Kraft zwischen zwei positiven Ladungen ist ebenso wie die zwischen zwei negativen abstoßend, die Kraft zwischen einer positiven und einer negativen Ladung hingegen anziehend. Ein großer Körper wie die Erde oder die Sonne enthält eine annähernd gleiche Zahl von positiven und negativen Ladungen. Dadurch heben sich die Anziehungs- und Abstoßungskräfte zwischen den einzelnen Teilchen weitgehend auf, so daß die resultierende elektromagnetische Kraft sehr geringfügig ist. Doch in den kleinen Abständen der Atome und Moleküle spielen die elektromagnetischen Kräfte eine beherrschende Rolle. Die elektromagnetische Anziehung zwischen negativ geladenen Elektronen und positiv geladenen Protonen im Kern veranlaßt die Elektronen, um das Atom zu kreisen, wie die Gravitation die Erde zu ihrer Umlaufbahn um die Sonne veranlaßt. Man stellt sich vor, daß die elektromagnetische Anziehungskraft durch den Austausch einer großen Zahl von virtuellen, masselosen Teilchen mit Spin 1, Photonen genannt, verursacht wird. Wie gesagt, die ausgetauschten Photonen sind virtuelle Teilchen. Doch wenn ein Elektron von einer zulässigen Bahn auf eine andere, dem Kern näher gelegene, überwechselt, wird Energie freigesetzt und ein reales Photon emittiert – das als sichtbares Licht vom menschlichen Auge wahrgenommen werden kann, wenn es die richtige Wellenlänge hat, oder von einem Photonendetektor wie etwa einem fotografischen Film. Entsprechend kann ein reales Photon, wenn es mit einem Atom kollidiert, ein Elektron dazu bringen, auf eine weiter außen gelegene Bahn zu springen. Dieser Vorgang verbraucht die Energie des Photons, und es wird absorbiert.
Die dritte Kategorie heißt schwache Kernkraft oder schwache Wechselwirkung, ist für die Radioaktivität verantwortlich und wirkt auf alle Materieteilchen mit Spin 1/2 ein, nicht aber auf Teilchen mit Spin 0, 1 oder 2, wie zum Beispiel Photonen und Gravitonen. Eine klare Vorstellung von der schwachen Kernkraft haben wir erst, seit Abdus Salam vom London Imperial College und Steven Weinberg von der Harvard University 1967 unabhängig voneinander Theorien vorschlugen, die diese Wechselwirkung mit der elektromagnetischen Kraft vereinigen, so wie Maxwell hundert Jahre zuvor Elektrizität und Magnetismus vereinigt hatte. Nach der Hypothese der beiden Forscher gibt es neben dem Photon noch drei weitere Teilchen mit Spin 1, die gemeinsam als Vektorbosonen mit Masse bezeichnet werden und Träger der schwachen Wechselwirkung sind. Es handelt sich um die Teilchen W + («W plus» gesprochen), W - (W minus) und Z 0 (Z Null), von denen jedes eine Masse von ungefähr 100 GeV (Gigaelektronenvolt oder 1 Milliarde Elektronenvolt) besitzt. Die Weinberg-Salam-Theorie zeigt eine Eigenschaft auf, die als «spontane Symmetriebrechung» bezeichnet wird. Danach erweisen sich einige Teilchen, die bei niedrigen Energien völlig verschieden erscheinen, alle als Vertreter des gleichen Teilchentyps; sie
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