Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
und Gluonen dann fast wie freie Teilchen verhalten. Abbildung 17 auf Seite 102, eine Fotografie, zeigt den Zusammenstoß eines Protons und Antiprotons bei hoher Energie.
Die gelungene Vereinheitlichung der elektromagnetischen und der schwachen Kernkraft führte zu zahlreichen Versuchen, diese beiden Kräfte mit der starken Kernkraft zur sogenannten «Großen Vereinheitlichten Theorie» (abgekürzt GUT nach dem englischen Begriff «Grand Unified Theory») zusammenzuschließen. Der Name ist leicht übertrieben: So großartig sind die resultierenden Theorien eigentlich nicht; sie sind auch nicht gänzlich vereinheitlicht, da sie die Gravitation nicht einbeziehen. Auch sind sie keine wirklich vollständigen Theorien, weil sie eine Reihe von Parametern enthalten, deren Werte nicht aus der Theorie vorhergesagt werden können, sondern so gewählt werden müssen, daß sie mit den experimentellen Daten verträglich sind. Trotzdem könnten sie ein Schritt auf dem Weg zu einer vollständigen, gänzlich vereinheitlichten Theorie sein. Der Grundgedanke der GUTs besagt: Die starke Kernkraft wird schwächer bei hoher Energie. Dagegen werden die elektromagnetische Kraft und die schwache Wechselwirkung, die nicht asymptotisch frei sind, bei hoher Energie stärker. Bei einer gewissen, sehr hohen Energie, Große Vereinheitlichungsenergie genannt, hätten diese drei Kräfte alle die gleiche Stärke und könnten sich als verschiedene Aspekte einer einzigen Kraft erweisen. Eine weitere Vorhersage der GUTs lautet, daß bei dieser Energie die verschiedenen Materieteilchen mit Spin 1/2, wie zum Beispiel Quarks und Elektronen, im wesentlichen dieselben wären, womit es zu einer weiteren Vereinheitlichung käme.
Man weiß nicht sehr genau, wie hoch die große Vereinheitlichungsenergie sein muß, schätzt aber, daß sie mindestens tausend Millionen Millionen (eine Billiarde) GeV betragen müßte. Die gegenwärtige Generation von Teilchenbeschleunigern kann Teilchenkollisionen bei einer Energie von ungefähr 100 GeV herbeiführen. Im Planungsstadium befinden sich Anlagen, die ein paar tausend GeV erreichen sollen, aber eine Maschine, die so leistungsfähig wäre, daß sie die Teilchen bis zur Großen Vereinheitlichungsenergie beschleunigen könnte, müßte die Größe unseres Sonnensystems haben – und würde im gegenwärtigen wirtschaftlichen Klima wohl kaum finanziert werden. Deshalb kann man die Großen Vereinheitlichten Theorien nicht direkt im Labor überprüfen. Doch wie die Vereinheitlichte Theorie für die elektromagnetische Kraft und die schwache Wechselwirkung hat auch diese Theorie überprüfbare Konsequenzen bei schwachen Energieverhältnissen.
Die interessanteste dieser Konsequenzen ist die Vorhersage, daß Protonen, die einen großen Teil der gewöhnlichen Materie stellen, spontan in leichtere Teilchen wie etwa Antielektronen zerfallen können. Dies liegt möglicherweise daran, daß es bei der Großen Vereinheitlichungsenergie keinen wesentlichen Unterschied mehr zwischen einem Quark und einem Antielektron gibt. Unter normalen Umständen reicht die Energie der drei Quarks in einem Proton für die Umwandlung in Antielektronen nicht aus, doch manchmal, wenn auch sehr selten, kann eines von ihnen genügend Energie für einen solchen Übergang gewinnen, weil sich die Energie der Quarks im Proton infolge der Unschärferelation nicht genau festlegen läßt. Dann wird das Proton zerfallen. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Quark genügend Energie erwirbt, ist so gering, daß man wohl mindestens eine Million Millionen Millionen Millionen Millionen Jahre (eine 1 mit 30 Nullen) darauf warten müßte – sehr viel länger als die Zeit, die seit dem Urknall verstrichen ist; das Universum besteht erst seit etwa zehn Milliarden Jahren (eine 1 mit 10 Nullen). So könnte man meinen, daß sich die Möglichkeit des spontanen Protonenzerfalls experimentell nicht überprüfen läßt. Doch man kann die Chance, einen solchen Zerfall zu beobachten, durch Beobachtung von außerordentlich viel Materie erhöhen, die eine sehr große Zahl von Protonen und Neutronen enthält. (Würde man beispielsweise eine Protonenzahl, die einer 1 mit 31 Nullen entspricht, über einen Zeitraum von einem Jahr beobachten, dürfte man nach der einfachsten GUT erwarten, auf mehr als einen Protonenzerfall zu stoßen.)
Abb. 17: Ein Proton und ein Antiproton kollidieren mit großer Energie und erzeugen einige fast freie Quarks (Foto: CERN).
Obwohl Experimente dieser Art
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