Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
durchgeführt wurden, hat man bisher noch keinen endgültigen Beweis für einen Protonen- oder Neutronenzerfall entdeckt. Ein Experiment, bei dem achttausend Tonnen Wasser verwendet wurden, führte man im Salzbergwerk Morton in Ohio durch (um andere – durch kosmische Strahlung verursachte – Ereignisse auszuschließen, die man mit Protonenzerfall hätte verwechseln können). Da man während des Experiments keinen spontanen Protonenzerfall registrierte, kann man sich ausrechnen, daß die wahrscheinliche Lebenszeit des Protons oder Neutrons mehr als zehn Millionen Millionen Millionen Millionen Millionen (eine 1 mit 31 Nullen) Jahre beträgt. Das übersteigt die Lebenszeit, die von der einfachsten Großen Vereinheitlichten Theorie vorhergesagt wird, doch es gibt kompliziertere Theorien, in denen die vorhergesagten Lebenszeiten länger sind. Um sie zu überprüfen, sind Experimente mit noch empfindlicheren Instrumenten und noch größeren Materiemengen erforderlich.
Wenn es auch sehr schwer ist, den spontanen Protonenzerfall zu beobachten, verdanken wir möglicherweise unsere eigene Existenz dem umgekehrten Prozeß, der Entstehung von Protonen oder einfacher: von Quarks in einer Anfangssituation, in der es nicht mehr Quarks als Antiquarks gab. So läßt sich nämlich der Ursprung des Universums am einfachsten vorstellen. Die Materie der Erde ist im wesentlichen aus Protonen und Neutronen aufgebaut, die ihrerseits aus Quarks bestehen. Es gibt keine Antiprotonen oder Antineutronen, die aus Antiquarks bestünden, abgesehen von den wenigen, welche die Physiker in ihren großen Teilchenbeschleunigern erzeugen. In der kosmischen Strahlung finden wir Anhaltspunkte dafür, daß dies auch für alle übrige Materie in unserer Galaxis gilt. Es gibt keine Antiprotonen oder Antineutronen, abgesehen von einer kleinen Zahl, die als Teilchen-Antiteilchen-Paare in hochenergetischen Zusammenstößen entstehen. Gäbe es große Antimateriebereiche in unserer Galaxis, so müßten wir beträchtliche Strahlenmengen von den Grenzen zwischen Materie- und Antimaterieregionen empfangen, wo viele Teilchen mit ihren Antiteilchen kollidieren, sich dabei vernichten und sehr energiereiche Strahlung abgeben würden.
Ob die Materie anderer Galaxien aus Protonen und Neutronen besteht oder aus Antiprotonen und Antineutronen, läßt sich nicht an direkten Anhaltspunkten ablesen, doch wir können mit Sicherheit sagen, daß sie aus der einen oder der anderen Sorte aufgebaut ist; es kann keine Mischung in einzelnen Galaxien geben, weil dann wiederum die intensive Strahlung der Annihilationsprozesse zu beobachten wäre. Deshalb glauben wir, daß alle Galaxien aus Quarks und nicht aus Antiquarks bestehen. Der Gedanke, daß einige Galaxien aus Materie und andere aus Antimaterie bestehen, ist wenig einleuchtend.
Warum sollte es so viel mehr Quarks als Antiquarks geben? Warum gibt es nicht von jeder Sorte eine gleiche Anzahl? Jedenfalls können wir uns glücklich schätzen, daß die Zahlen ungleich sind, denn wären sie es nicht, hätten sich im frühen Universum fast alle Quarks und Antiquarks gegenseitig vernichtet und ein Universum voller Strahlung, aber fast ohne Materie zurückgelassen. Dann hätte es keine Galaxien, Sterne oder Planeten gegeben, auf denen sich menschliches Leben hätte entwickeln können. Zum Glück bieten die Großen Vereinheitlichten Theorien jetzt eine mögliche Erklärung dafür, daß das Universum heute wohl mehr Quarks als Antiquarks enthält, auch wenn die Anzahl beider ursprünglich einmal gleich gewesen ist. Wie wir gesehen haben, lassen die GUTs die Umwandlung von Quarks in Antielektronen bei hoher Energie zu. Sie gestatten auch die umgekehrten Prozesse – die Umwandlung von Antiquarks in Elektronen sowie von Elektronen und Antielektronen in Antiquarks und Quarks. Es gab eine Zeit im sehr frühen Universum, da war es so heiß, daß die Teilchenenergie ausreichte, um diese Transformationen stattfinden zu lassen. Doch warum sollen dabei mehr Quarks als Antiquarks herausgekommen sein? Der Grund liegt darin, daß die physikalischen Gesetze für Teilchen und Antiteilchen nicht in allen Punkten gleich sind.
Bis 1956 meinte man, die physikalischen Gesetze würden drei verschiedenen Symmetrien – C, P und T genannt – gehorchen. Symmetrie C besagt, daß die Gesetze für Teilchen und Antiteilchen gleich seien; nach Symmetrie P sind die Gesetze für jede Situation und ihr Spiegelbild gleich (das Spiegelbild eines Teilchens, das
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