Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
Umkehr des thermodynamischen Pfeils verraten oder gar seine Gewinne auf die Bank tragen, wäre er doch hinter dem Ereignishorizont des Schwarzen Loches gefangen.)
Zunächst glaubte ich, die Unordnung nähme ab, wenn das Universum rekollabiert. Denn ich meinte, das Universum müsse während des Schrumpfungsprozesses in einen geordneten und gleichmäßigen Zustand zurückkehren. Dann wäre die Kontraktionsphase praktisch die zeitliche Umkehrung der Expansionsphase. Die Menschen in der Kontraktionsphase würden rückwärts leben: sie würden sterben, bevor sie geboren wären, und mit der Kontraktion des Universums jünger werden.
Wegen ihrer Symmetrie zwischen der Expansions- und der Kontraktionsphase ist diese Hypothese sehr verlockend. Doch man kann sie nicht einfach um ihrer selbst willen anerkennen, unabhängig von anderen Hypothesen über das Universum. Die Frage lautet: Läßt sie sich aus der Keine-Grenzen-Bedingung ableiten oder befindet sie sich im Widerspruch zu ihr? Wie gesagt, ich glaubte zunächst, aus der Keine-Grenzen-Bedingung folge tatsächlich, daß die Unordnung in der Kontraktionsphase abnähme. Zum Teil ließ ich mich durch die Analogie zur Erdoberfläche irreführen. Wenn man davon ausgeht, daß der Anfang des Universums dem Nordpol entspreche, dann müßte das Ende des Universums dem Anfang ähnlich sein, genauso wie der Südpol dem Nordpol gleicht. Nun entsprechen aber Nord- und Südpol der Erde dem Anfang und Ende des Universums in imaginärer Zeit. Der Anfang und das Ende in der reellwertigen Zeit können hingegen sehr verschieden voneinander sein.
Ich wurde auch irregeführt durch eine Arbeit über ein einfaches Modell des Universums, in der ich zu dem Ergebnis gekommen war, daß die Kollapsphase wie die zeitliche Umkehrung der Expansionsphase aussähe. Doch mein Kollege Don Page von der Penn State University konnte zeigen, daß die Keine-Grenzen-Bedingung nicht unbedingt zu dieser Annahme zwinge. Überdies stellte Raymond Laflamme, einer meiner Studenten, fest, daß schon in einem etwas komplizierteren Modell der Zusammensturz des Universums ganz anders verläuft als die Expansion. Mir wurde klar, daß ich einen Fehler gemacht hatte: Aus der Keine-Grenzen-Bedingung folgte, daß die Unordnung auch während der Kontraktionsphase zunehmen würde. Danach kommt es zu keiner Umkehrung des psychologischen und des thermodynamischen Zeitpfeils während der Kontraktion des Universums oder im Innern Schwarzer Löcher.
Was soll man tun, wenn man feststellt, daß man einen solchen Fehler begangen hat? Manche Menschen geben nie zu, daß sie unrecht haben, und finden ständig neue, oft sehr widersprüchliche Argumente, um ihren Standpunkt zu vertreten – wie Eddington, als er sich gegen die Theorie der Schwarzen Löcher wandte. Andere behaupten, sie hätten die falsche Auffassung niemals vertreten oder wenn doch, dann nur, um zu zeigen, daß sie unhaltbar sei. Mir erscheint es weit besser und klarer, wenn man schwarz auf weiß zugibt, daß man sich geirrt hat. Man denke an Einstein, der die kosmologische Konstante, die er einführte, um ein statisches Modell des Universums aufrechterhalten zu können, später als seine größte Eselei bezeichnete.
Um auf den Zeitpfeil zurückzukommen – es bleibt die Frage: Warum beobachten wir, daß der thermodynamische und der kosmologische Pfeil in die gleiche Richtung zeigen? Anders gefragt: Warum nimmt die Unordnung in der gleichen Richtung der Zeit zu, in der das Universum sich ausdehnt? Wenn man, wie es die Keine-Grenzen-These nahezulegen scheint, die Auffassung vertritt, das Universum dehne sich zunächst aus und ziehe sich dann wieder zusammen, so stellt sich außerdem die Frage, warum wir uns in der Phase der Expansion und nicht in der der Kontraktion befinden.
Diese Frage läßt sich mit dem schwachen anthropischen Prinzip beantworten. Die Bedingungen in der Kontraktionsphase wären nicht für die Existenz intelligenter Wesen geeignet, die fragen könnten, warum die Unordnung in der gleichen Zeitrichtung zunimmt, in der das Universum sich ausdehnt. Aus der Inflation in den frühen Stadien des Universums, die von der Keine-Grenzen-These postuliert wird, folgt, daß sich die Expansion des Universums sehr nahe an der kritischen Geschwindigkeit vollziehen muß, bei der es ihm gerade noch gelingt, einen Zusammensturz zu vermeiden. Für einen sehr langen Zeitraum ist dieser Kollaps also auszuschließen. Dann werden alle Sterne ausgebrannt und ihre Protonen
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