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Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser

Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser

Titel: Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst H. Gombrich
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Soldaten lieferten. Die Völker aber ließen sich das immer weniger
gefallen. Nach den Spaniern kämpften die Tiroler Bauern, die Napoleon dem
Kaiser von Österreich weggenommen und an das Königreich Bayern verschenkt
hatte, gegen die französischen und bayerischen Soldaten, bis Napoleon ihren
Führer Andreas Hofer fangen und erschießen ließ.
    Auch in Deutschland war das ganze Volk in unerhörter Erregung und
Empörung gegen die Willkür und Gewalt des französischen Kaisers. Jetzt, seit
die meisten deutschen Fürstentümer unter französischer Herrschaft standen,
fühlten alle zum ersten Mal in der Geschichte die Gemeinsamkeit ihres
Schicksals: dass sie doch alle Deutsche seien und nicht Franzosen. Dass es
wenig darauf ankomme, wie der König von Preußen mit dem König von Sachsen stehe
oder ob der König von Bayern mit dem Bruder Napoleons verbündet sei, sondern
dass das gemeinsame Erlebnis aller Deutschen, durch Fremde beherrscht zu
werden, auch einen gemeinsamen Willen aller Deutschen erzeuge: den Willen zur
Befreiung. Es war das erste Mal in der Weltgeschichte, dass alle Deutschen,
Studenten und Dichter, Bauern und Adelige, sich gegen den Willen ihrer Fürsten
zusammentaten, um sich zu befreien. Aber das war nicht so leicht. Napoleon war
mächtig. Der größte deutsche Dichter, Goethe, sagte damals: »Schüttelt nur an
euren Ketten; der Mann ist euch zu groß!« Und wirklich war gegen die Gewalt
Napoleons lange Zeit aller Heldenmut und alle Begeisterung vergebens. Da
stürzte ihn endlich sein unglaublicher Ehrgeiz. Seine Macht war ihm noch lange
nicht groß genug. Er fand, es sei eigentlich erst der Anfang. Jetzt käme
Russland an die Reihe. Die Russen hatten sich nämlich nicht an seinen Befehl
gehalten, keinen Handel mit den Engländern zu treiben. Das musste bestraft
werden!
    Aus allen Teilen seines riesigen Reiches ließ Napoleon Soldaten
    kommen und brachte ein Heer von 600 000 Mann zusammen, also mehr als eine halbe
Million Menschen. Ein ähnliches Heer wie diese große Armee hatte es noch nie in
der Weltgeschichte gegeben, und diese Armee marschierte nun 1812 gegen
Russland. Immer weiter ins Innere des Landes, ohne dass es zu einer Schlacht
kam. Die Russen wichen immer weiter zurück, ähnlich, wie sie es zur Zeit Karls
XII. von Schweden gemacht hatten. Endlich, knapp vor den Toren Moskaus, stand
die gewaltige russische Armee. Napoleon besiegte sie – natürlich, hätte ich
fast gesagt, denn für ihn war eine Schlacht etwas Ähnliches wie für einen
tüchtigen Rätsellöser eine Rätselaufgabe. Er sah sich an, wie die Feinde
standen, und wusste auch schon, wo er seine Truppen hinzuschicken habe, um sie
zu umgehen oder zu schlagen. So zog er in Moskau ein. Aber er fand die Stadt
fast leer. Denn die meisten Bewohner waren geflüchtet. Es war Spätherbst, und
Napoleon saß im Kreml, dem alten Kaiserschloss, und wartete, dass er seine
Bedingungen diktieren könne. Da kam die Meldung, dass die Vorstädte von Moskau
brannten. Moskau war damals noch vielfach aus Holzhäusern erbaut. Immer größere
Teile der Stadt ergriff das Feuer, das wahrscheinlich die Russen selbst
angezündet hatten, um die Franzosen in Bedrängnis zu bringen. Alle Versuche zu
löschen waren vergebens.
    Wo sollten nun die 600 000 Mann wohnen, wenn Moskau abbrannte? Wovon
sollten sie leben? So entschloss sich Napoleon, mit seinem Heer umzukehren.
Aber es war inzwischen Winter geworden und ganz entsetzlich kalt. Schon auf dem
Hermarsch hatte die Armee alle Lebensmittel der Gegend geraubt und verzehrt. So
wurde der Rückmarsch durch die weite, weite, eisige, menschenleere Ebene von
Russland zu etwas ganz Furchtbarem. Immer mehr Soldaten blieben erfroren und
verhungert am Weg zurück. Tausende Pferde kamen um. Nun kamen die russischen
Reiter, die Kosaken, und fielen der Armee in den Rücken und in die Flanke. Sie
wehrte sich verzweifelt. Es gelang ihr sogar noch, im schrecklichsten
Schneegestöber, umzingelt von den Kosaken, einen großen Fluss, die Beresina, zu
überqueren, aber allmählich waren alle Kräfte erschöpft. Es herrschte nur
Verzweiflung. Kaum der zwanzigste Teil aller Soldaten rettete sich aus dieser
furchtbaren Niederlage und kam, vollständig kraftlos und todkrank, an der
deutschen Grenze an. Napoleon war zum Schluss verkleidet in einem
Bauernschlitten nach Paris vorausgeeilt.
    Das Erste, was er dort tat, war, neue Truppen zu verlangen, denn
nun, da er so geschwächt war, erhoben sich alle Völker gegen ihn.

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