Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser
dasaß, und ertrug dabei die schrecklichsten Schmerzen.
Er aß so wenig, dass er vor Schwäche umfiel. Aber in all diesen Jahren konnte
er die innere Ruhe nicht finden. Denn er dachte ja nicht nur darüber nach, was
die Welt sei und ob alles im Grunde dasselbe sei. Er dachte ja über all das Unglück
in der Welt nach. Über all die Schmerzen und Leiden der Menschen. Über Alter,
Krankheit und Tod. Und da konnte eben keine Buße helfen.
So begann er langsam wieder, Nahrung zu sich zu nehmen, Kräfte zu
sammeln und zu atmen, wie alle Menschen. Deswegen verachteten ihn die übrigen
Einsiedler sehr, die ihn bisher bewundert hatten. Aber er ließ sich nicht
beirren. Und eines Nachts, als er in einer lieblichen Waldlichtung unter einem
Feigenbaum saß, kam ihm die Erkenntnis. Er verstand plötzlich, was er durch all
die Jahre gesucht hatte. Es war wie ein inneres Licht, das er plötzlich sah.
Darum war er jetzt der Erleuchtete, der Buddha. Und er ging, seine große innere
Entdeckung allen Menschen zu verkünden. Schon bald fand er Gleichgesinnte, die
überzeugt waren, dass er die Erlösung von allem menschlichen Leid gefunden
hatte. Diese Menschen, die Buddha verehrten, gründeten etwas, das wir einen
Mönchs- oder Nonnenorden nennen würden. Diesen Orden gibt es noch heute in
vielen Ländern Asiens. Seine Anhänger erkennst Du an ihrer gelben Kleidung und
genügsamen Lebensweise.
Nun wirst du gerne wissen wollen, was denn das gewesen ist, das
Gautama unter dem Bo-Baum, das heißt, unter dem Erleuchtungsbaum, als Erlösung
von allen Zweifeln erfuhr. Wenn ich dir das ein bisschen erklären soll, so
musst du schon darüber nachdenken. Schließlich hat ja Gautama ganze sechs Jahre
nur darüber nachgedacht. Die große Erleuchtung, die große Erlösung vom Leiden,
war der Gedanke: Bei uns müssen wir anfangen, wenn wir uns retten wollen vor dem
Leid. Alles Leiden kommt vom Wünschen her. Also ungefähr so: Wenn du traurig
bist, weil du ein schönes Buch oder das Spielzeug nicht bekommst, das du dir
wünschst, kannst du zweierlei tun: Du kannst versuchen, sie doch zu bekommen,
oder du kannst aufhören, sie dir zu wünschen. Wenn dir eines von beiden
gelingt, wirst du nicht mehr traurig sein. So hat Buddha gelehrt: Wenn wir
aufhörten, uns alle schönen und angenehmen Dinge zu wünschen, wenn wir nicht,
sozusagen, immer durstig wären nach Glück, nach Wohlbehagen, nach Anerkennung,
nach Zärtlichkeit, dann wären wir auch nicht so oft traurig, wenn uns all das
abgeht. Und wer nichts mehr wünschte, wäre auch nie mehr traurig. Man muss nur
den Durst kleinkriegen, dann wird man auch das Leid kleinkriegen.
»Aber für seine Wünsche kann man doch nichts«, wirst du sagen.
Buddha war anderer Ansicht. Er lehrte, dass man es in jahrelanger Arbeit an
sich selbst so weit bringen kann, nicht mehr zu wünschen, als was man wünschen
will. So Herr seiner Wünsche zu sein, wie der Elefantentreiber Herr über den
Elefanten ist. Und dass das das Höchste ist, was man auf Erden erreichen kann:
nichts mehr zu wünschen. Das ist die »innere Meeresstille«, von der er spricht,
die große, ruhige Seligkeit eines Menschen, der auf Erden nichts begehrt. Der
zu allen Menschen gleich gütig ist und von niemandem etwas verlangt. Wer so
über alle Wünsche Herr geworden ist – so lehrte Buddha weiterhin –, wird auch
nicht wieder auf die Welt kommen, wenn er gestorben ist. Denn eigentlich werden
die Seelen nur wiedergeboren – so glaubten es ja die Inder –, weil sie am Leben
hängen. Wer nicht mehr am Leben hängt, der wird sich nach dem Tod nicht mehr in
den »Kreislauf der Geburten« drängen. Er wird eingehen in das Nichts. In das
wunschlose und leidlose Nichts, das die Buddhisten Nirwana nennen.
Das also war die Erleuchtung des Buddha unter dem Feigenbaum – die
Lehre, wie man sich von den Wünschen befreit, ohne sie zu erfüllen, wie man
seinen Durst abschafft, ohne ihn gelöscht zu haben. Der Weg, der dazu führt,
ist nicht einfach; das kannst du dir denken. Der Buddha nannte ihn den
»mittleren Weg«, weil er zwischen der nutzlosen Selbstquälerei und dem
gedankenlosen Wohlleben zur wahren Erlösung führt. Worauf es dabei ankommt,
ist: rechter Glaube, rechte Entscheidung, rechtes Wort, rechte Tat, rechtes
Leben, rechtes Streben, rechtes Bewusstsein, rechtes Sichversenken.
Das war das Allerwichtigste aus der Predigt Gautamas, und diese
Predigt machte auf die Menschen einen so tiefen Eindruck, dass ihm viele
gefolgt sind und ihn wie
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