Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser
Nero noch milde. Um Europa und das, was dort vorging, kümmerten sich
die Russen nicht viel. Sie hatten genug untereinander zu streiten und sich
gegenseitig umzubringen. Zwar waren sie Christen, aber sie unterstanden nicht
dem Papst, sondern dem Bischof oder Patriarchen des oströmischen Reiches in
Konstantinopel. So hatten sie wenig Beziehung zum Westen.
Da kam im Jahre 1689 (also sechs Jahre nach der Türkenbelagerung
Wiens) ein neuer Herrscher auf den Thron. Er hieß Peter, Peter der Große. Er
war nicht weniger wild und grausam als seine Vorgänger. Er trank nicht weniger
gern und hatte nicht weniger Vergnügen an Gewalttaten. Aber er hatte sich in
den Kopf gesetzt, aus seinem Reich einen Staat zu machen, wie es die westlichen
Staaten, Frankreich, England oder das Deutsche Reich, waren. Er wusste, was
dazu notwendig war: Geld, Handel, Städte. Er wollte herausbekommen, wie die
anderen Länder das erworben hatten. So reiste er hin. Er sah in Holland die
großen Hafenstädte mit ihren gewaltigen Schiffen, die bis nach Indien und
Amerika segelten, um Handel zu treiben. Solche Schiffe wollte er auch haben. Er
wollte lernen, wie sie gemacht wurden. So trat er, ohne viel zu überlegen, als
einfacher Schiffszimmermann in die Lehre eines holländischen Schiffsbaumeisters
und lernte wirklich dessen Kunst. Dann kehrte er bald mit einer Schar von
Handwerkern zurück, die Schiffe bauen sollten.
Es fehlte nur die Hafenstadt. So befahl er, eine Hafenstadt zu
errichten. Eine Stadt am Meer, genau wie die holländischen Städte es waren, die
er gesehen hatte. Dort am Meer, im Norden von Russland, gab es aber nur ödes
Sumpfland. Auch gehörte diese Gegend eigentlich zu Schweden, mit dem Peter der
Große im Krieg lag. Das war ihm alles gleichgültig. Man trieb die Bauern aus
dem weiten Umkreis zusammen, sie mussten den Sumpf trockenlegen und Pfähle
einrammen. 80 000 Arbeiter ließ er dort schuften, und bald stand wirklich eine
Hafenstadt da. Er nannte sie St. Petersburg. Nun sollten auch die Russen
richtige Europäer werden. Sie durften nicht mehr in ihrer einheimischen Tracht
mit langem Haar, langem Bart und langem Kittel gehen, sie mussten sich anziehen
wie Franzosen oder Deutsche. Wem das nicht passte oder wer gegen Peters
Neuerungen etwas sagte, den ließ er auspeitschen und hinrichten. Sogar seinen
eigenen Sohn. Ein gemütlicher Herr war er nicht, aber er hat erreicht, was er
wollte. Die Russen wurden zwar nicht so schnell Europäer, aber seit damals hat
Russland in dem blutigen europäischen Spiel um die Macht mitgespielt.
Schon Peter der Große fing damit an. Es ging gegen Schweden, das
seit Gustav Adolfs Eroberungen im Dreißigjährigen Krieg der mächtigste Staat im
Norden Europas war. Zu Peters des Großen Zeit herrschte dort kein so
klarsichtiger frommer Mann wie Gustav Adolf, sondern seit dem Jahre 1697 einer
der fantastischsten jungen Abenteurer, die es je gegeben hat: König Karl XII.
Er könnte in einem Buch von Karl May vorkommen oder in einer ähnlich
wüst-schönen Geschichte. Es klingt ganz unwirklich, was er alles gemacht hat.
Dabei war er ebenso unvernünftig wie tapfer, und das wollte schon etwas heißen.
Er kämpfte mit seinem Heer gegen Peter den Großen und schlug eine fünffache
Übermacht. Dann eroberte er Polen und drang immer weiter nach Russland vor,
ohne auch nur zu warten, bis ihm ein anderes schwedisches Heer, das unterwegs
war, zu Hilfe kam. Immer tiefer ist er ins weite Russland eingedrungen, immer
seinem Heer vorausgeritten, durch Ströme gewatet und durch Sümpfe gestapft,
aber die russischen Kosaken haben sich ihm nirgends entgegengestellt. Es wurde
Herbst und Winter, die eisige Kälte Russlands kam, und noch immer hatte Karl
XII. keine Gelegenheit gehabt, dem Feind seine Tapferkeit zu beweisen. Endlich,
als sein Heer fast vollständig verhungert, erfroren und erschöpft war, tauchten
die Russen auf und besiegten ihn im Jahre 1709 gründlich. Er musste fliehen und
floh in die Türkei. Dort blieb er fünf Jahre und versuchte, die Türken zum
Kampf gegen Russland aufzustacheln. Er hatte nicht viel Glück damit. Endlich,
im Jahre 1714, hörte er aus seinem Heimatland Schweden, dass man dort nichts
mehr von einem König wissen wolle, der in der Türkei auf Abenteuer ausgehe, und
dass die Großen des Reiches einen anderen König wählen wollten.
Da zog er die Kleider eines deutschen Offiziers an und ritt und fuhr
mit einem einzigen Begleiter Tag und Nacht, bei Tag zu Pferd, bei
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