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Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser

Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser

Titel: Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst H. Gombrich
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kann man mit Gründen streiten
und den anderen überzeugen, den Glauben des anderen aber, der jenseits aller
Vernunftgründe liegt, soll man dulden und achten.
    Die Vernunft war also das zweite, was diesen Menschen wichtig war.
Das klare, bewusste Denken über den Menschen und die Natur. Hierüber fanden sie
wieder viel in den Werken der alten Griechen und Römer und in denen der
Florentiner aus der Zeit der Renaissance. Am meisten aber fanden sie in den
Werken der kühnen Männer, die, wie Galilei, auf die Suche nach der
rechnerischen Zauberformel der Natur gegangen waren. In diesen Dingen gab es
keine Glaubensunterschiede. Da gab es nur Versuch und Beweis. Die Vernunft
entschied, wie die Natur aussah und wie es in der Sternenwelt zuging. Die
Vernunft, die allen Menschen, arm und reich, weiß, gelb oder rot, gleichermaßen
gegeben ist.

    Weil aber die Vernunft allen Menschen gegeben ist, so sind alle
Menschen im Grunde gleich viel wert, lehrte man weiter. Du weißt, dass das
schon die Lehre des Christentums war: dass alle Menschen vor Gott gleich sind.
Aber die Prediger der Duldung und der Vernunft gingen weiter: Sie lehrten nicht
nur, dass die Menschen im Grunde gleich sind, sie forderten auch, dass man alle
gleich behandeln müsse. Dass jeder Mensch, als von Gott geschaffenes,
vernunftbegabtes Wesen, Rechte habe, die ihm niemand nehmen könne und dürfe.
Dass jeder Anspruch darauf habe, seinen Beruf, sein Leben selbst zu bestimmen,
dass jeder frei sein müsse, zu tun und zu lassen, was seine Vernunft und sein
Gewissen ihm raten. Dass man auch Kinder nicht mit dem Stock erziehen solle,
sondern mit Vernunft, indem man sie verstehen lehrte, warum dies gut und jenes
schlecht ist. Dass auch Verbrecher Menschen sind, die zwar gefehlt haben, die
man aber bessern kann. Dass es entsetzlich ist, einem Menschen, der einmal
Unrecht getan hat, mit einem glühenden Eisen ein unvergängliches Brandzeichen
in die Stirn oder Wange zu drücken, damit jeder immer sehe: Das ist ein
Verbrecher. Dass es eine Menschenwürde gibt, die es verbietet, einen Menschen
öffentlich zu verspotten.
    Alle diese Gedanken, die nach 1700, vor allem in England und dann in
Frankreich, verbreitet wurden, nennt man »Aufklärung«, weil sie gegen die große
Finsternis des Aberglaubens mit der Klarheit der Vernunft streiten wollten.
    Manche Menschen finden, dass diese Aufklärung nur
Selbstverständlichkeiten lehrte und dass man damals viele große Geheimnisse der
Natur und der Welt sich allzu einfach vorgestellt hat. Das ist richtig. Aber du
musst bedenken, dass diese Selbstverständlichkeiten damals noch gar nicht
selbstverständlich waren und wie viel Mut, Opfer und Ausdauer dazugehörten,
diese Gedanken den Menschen so oft vorzusagen, dass sie uns heute wirklich als
selbstverständlich gelten. Auch musst du bedenken, dass die Vernunft freilich
nicht alle Geheimnisse lösen kann und nie lösen wird, aber dass sie doch vielem
auf die Spur gekommen ist.
    Man hat in den letzten 200 Jahren seit der Aufklärung über die
Geheimnisse der Natur mehr erforscht und erfahren als in den 2000 Jahren
vorher. Vor allem aber darfst du nicht vergessen, was die Duldung, Vernunft und
Menschlichkeit, die die drei hauptsächlichsten Glaubensartikel der Aufklärung
sind, im Leben bedeuten. Dass ein Mensch, der in Verdacht steht, ein Verbrechen
begangen zu haben, nicht mehr auf diesen bloßen Verdacht hin in
unmenschlichster Art auf der Folter gemartert wird, bis er besinnungslos alles
zugibt, was man will, dass die Vernunft uns gelehrt hat, dass Hexerei unmöglich
ist und dass darum keine Hexen mehr verbrannt werden. (Die letzte Hexe wurde in
Deutschland im Jahre 1749 verbrannt, 1783 sogar noch eine in der Schweiz.) Dass
man Krankheiten nicht durch abergläubische Mittelchen, sondern hauptsächlich
durch Reinlichkeit und wissenschaftliche Erforschung ihrer Ursachen bekämpft.
Dass es keine Leibeigenen oder hörigen Bauern mehr gibt und keine Sklaven. Dass
alle Menschen in einem Staat nach denselben Gesetzen behandelt werden und dass
auch die Frauen dieselben Rechte haben wie die Männer. All das ist das Werk der
mutigen Bürger und Schriftsteller, die es gewagt haben, für diese Gedanken
einzutreten. Und es war ein Wagnis. Dass sie dabei
manchmal im Kampf gegen das Alte, Althergebrachte verständnislos und ungerecht
gewesen sind, ist richtig, aber es war auch ein schwerer und gewaltiger Kampf,
den sie für Duldung, Vernunft und Menschlichkeit zu kämpfen hatten.
    Dieser

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