Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser

Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser

Titel: Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst H. Gombrich
Vom Netzwerk:
wurden die Türen geöffnet, und ein Schwarm prunkvoller
Würdenträger, Marschälle, Statthalter, hoher Kirchenfürsten und persönlicher
Günstlinge erschien, um staunend bei der feierlichen Handlung zugegen zu sein,
wenn Seine Majestät der König sich anzog.
    Das war alles geregelt bis ins Kleinste. Die höchste Ehre war es,
dem König das Hemd reichen zu dürfen, das vorher sorgfältig gewärmt worden war.
Diese Ehre hatte der Bruder des Königs, und wenn er nicht anwesend war, der
Nächsthöchste im Rang. Der Kammerdiener hielt einen Ärmel, ein Herzog den
anderen, und so schlüpfte Seine Majestät hinein. In dieser Art ging es weiter,
bis der König angekleidet dastand mit seinen bunten Seidenstrümpfen und seiner
kurzen Seidenhose, mit einem farbigen Atlaswams, der lichtblauen Schärpe, dem
Degen und seinem gestickten Rock mit der Halsbinde aus Spitzen, die ihm der
hohe Beamte, der königliche Halsbindenverwahrer, auf einem silbernen Tablett
überreichte. Dann trat der König mit Federhut und Stock, lächelnd und gewandt,
aus seinem Schlafzimmer in den großen Saal, hatte für jeden eine gedrechselte
Freundlichkeit bereit, während ihn die Leute angafften und demütig in
gespreizten Reden verkündeten, er sei heute schöner als der griechische
Sonnengott Apoll und kräftiger als der griechische Held Herkules, ja, er sei
wie Gottes Sonne selbst, die durch ihre Strahlen und ihren Glanz alles Leben
erhält. Du siehst, das war fast wie beim Pharao, der der Sohn der Sonne hieß,
aber ein großer Unterschied ist da doch. Die alten Ägypter hatten das wirklich
geglaubt. Bei Ludwig XIV. war es nur eine Art Spiel, von dem er selbst so gut
wie die anderen wusste, dass es eine feierliche, gut einstudierte und wunderbar
anzusehende Aufführung war.
    Im Vorzimmer also verkündete der König nach seinem Morgengebet das
Programm des Tages. Und da kamen wirklich viele Stunden Regierungsarbeit vor,
die er auch täglich einhielt, da er sich ja um alles im Staate kümmern wollte.
Außerdem gab es viele Jagden, Bälle, Theateraufführungen großer Dichter und
Schauspieler, an denen sein Hof sich vergnügte und zu denen auch er immer
erschien. Genauso mühsam und feierlich wie das Aufstehen war jede Mahlzeit, und
sogar das Schlafengehen war zu einer verwickelten, ballettartigen Aufführung
geworden. Es gab da die komischsten Übertreibungen. So musste sich zum Beispiel
jeder vor dem Bett des Königs verneigen wie der Gläubige vor dem Altar, auch
wenn der König gar nicht darin lag. Wenn der König Karten spielte und sich
unterhielt, stand immer ein Schwarm von Menschen in ehrfürchtiger Entfernung um
ihn herum und lauschte seinen geschickten, geistvollen Gesprächen, als wären es
Offenbarungen.
    Angezogen zu sein wie der König, in seiner Art den Stock zu tragen
und den Hut aufzusetzen, zu sitzen und zu gehen, das war das Ziel aller Männer
bei Hof. Ihm zu gefallen das Ziel aller Frauen. Auch sie trugen Spitzenkragen
und rauschende, weite Gewänder aus den kostbarsten Stoffen und mit dem
kostbarsten Schmuck. Das ganze Leben spielte sich in den großartigsten
Schlössern ab, die man bisher je gesehen hatte. Denn Schlösserbauen war die
große Leidenschaft Ludwigs XIV. So baute er sich außerhalb von Paris ein
Schloss, Versailles, das fast so groß ist wie eine Stadt; mit unendlichen Sälen
voller Gold und Damast, mit Kristalllüstern und Tausenden Spiegeln, mit
geschwungenen Möbeln, mit Samt und Seide, voller prunkvoller Gemälde, auf denen
man immer wieder Ludwig sah, wie ihm als Apollo von allen Völkern Europas
gehuldigt wird. Das Großartigste war aber nicht einmal das Schloss selbst,
sondern der Park. Der war genauso feierlich und abgezirkelt und verspielt wie
das ganze Leben dort. Kein Baum durfte wachsen, wie er wollte, kein Busch
durfte seine natürliche Form behalten. Alles Grün wurde gestutzt und
zugeschnitten zu schnurgeraden Blätterwänden und runden Buchshecken, zu weiten
Rasen mit schnörkelhaften Blumenbeeten, zu Alleen mit kreisrunden Plätzen, mit
Statuen, Teichen und Springbrunnen. Dort wanderten nun die ehemals mächtigen
Herzöge mit ihren Damen auf dem weißen Kies auf und ab und unterhielten sich in
zierlichen, hübsch geformten Sätzen über die Art, wie der schwedische Gesandte
neulich seine Verbeugung gemacht hatte, und über ähnliche Dinge.
    Du kannst dir denken, was so ein Schloss und so ein Leben gekostet
hat. Der König selbst hatte 200 Diener, und in diesem Stil ging es weiter.

Weitere Kostenlose Bücher