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Eine lange dunkle Nacht

Eine lange dunkle Nacht

Titel: Eine lange dunkle Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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schluckte mehr Tabletten denn je. Mit Kodein hatte er aufgehört. Morphium war das einzige, was seine Situation einigermaßen erträglich machte. Zehn Ein-Gramm-Pillen pro Tag – das waren jede Menge Opiate, die in seinen Venen zirkulierten. Das Morphium machte ihn nicht gerade lebhafter. Den ganzen Tag saß er teilnahmslos herum und aß nur Junk Food. Doch er nahm nicht zu. Im Gegenteil, er wurde dünner und dünner. Er ging zu einem Schmerzspezialisten, der sein letztes Geld einsackte. Alles, was der Kerl ihm sagen konnte, war, daß John lernen solle, mit den Schmerzen zu leben. Außerdem glaubte der Arzt, John würde übertreiben. John hätte alles dafür getan, seine Schmerzen auf jemand andern übertragen zu können, etwa auf Sims oder Tyler. Hätte der Teufel ihm ein Geschäft vorgeschlagen, John hätte sofort unterschrieben, ohne das Kleingedruckte zu lesen. Er hätte alles dafür gegeben, sich wieder normal zu fühlen.
    Es ist schon beschissen, krank oder verletzt zu sein, aber es ist doppelt beschissen, krank oder verletzt und pleite zu sein. John hatte weder Geld für Miete noch für Lebensmittel. Von staatlicher Seite bekam er keinen Pfennig, weil er Bürokraten verachtete, und weil er es haßte, ihnen in den Arsch zu kriechen. Er näherte sich einem kritischen Punkt. Zwei Katastrophen brachen gleichzeitig über ihn herein. Er gab seinen letzten Dollar aus, und sein Hausarzt teilte ihm mit, daß es an der Zeit sei, das Morphium abzusetzen.
    In einem hatte Johns Arzt recht: John war süchtig. Aber sein Arzt war wie der Schmerzspezialist. Er glaubte, John schlucke nur deshalb so viele Pillen, weil ihm der Rausch gefiel. Er weigerte sich, John weiterhin Morphium zu verschreiben und gab ihm statt dessen Tylenol und Kodein, was ungefähr genauso ist, als würde ein Soldat mit einer Wasserpistole in den Krieg ziehen. Johns Gegner war der Schmerz, und nun hatte er keine Waffe mehr, diesen Gegner zu bekämpfen.
    John wandte sich den Drogen zu – und die kosteten. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie etwas gestohlen. Nun ließ ihm seine Situation keine andere Wahl, meinte er. Er fühlte sich seiner Würde beraubt.
    Er saß in seinem schäbigen Apartment und schmiedete Pläne. Er war schlau – ein guter Planer. Er glaubte, der beste Weg an Geld zu kommen, wäre aus Automaten, die sich nicht wehren und ihn nicht identifizieren konnten. Mit Automaten – Cola-Automaten, Süßigkeitenautomaten, Zigarettenautomaten – kannte er sich aus und wußte, wie er sie knacken konnte. Mit einem ungedeckten Scheck kaufte er die nötige Ausrüstung – eine tragbare Bohrmaschine, ein Stemmeisen, einen Satz Schraubenzieher und einen verstellbaren Schraubenschlüssel. Und einen Hammer. Jeder Dieb brauchte einen Hammer.
    Dann begannen die Nächte, in denen er durch die Straßen zog. Das war auf jeden Fall besser, als allein mit seinen Schmerzen zu Hause zu hocken. Wenn er einen Bruch machte, konnte er mit all dem Adrenalin, das sein Körper vor Aufregung produzierte, seine Schmerzen für eine Weile vergessen. In jenen Augenblicken, wenn die Münzen herausgesprudelt kamen, empfand er tiefe Befriedigung, Erlösung von allem, was er hatte durchmachen müssen.
    Und noch etwas anderes verschaffte ihm in jenen Tagen Erlösung. Morphiums großer Bruder – Heroin. Es war schwer, auf der Straße gutes Heroin zu bekommen, aber Heroin gab es in Hülle und Fülle. John wartete eine Zeitlang, bevor er es probierte, denn er wußte, dieses Zeug würde er nicht kontrollieren können. Aber ebenso wußte er, daß das braune Pulver auf ihn wartete wie eine exotische Prostituierte, die ungeahnte Wonnen versprach.
    Heroin, Königin aller Drogen. Anfangs schnupfte er es bloß, und die Erleichterung, die es ihm verschaffte, war unermeßlich. Aber schon bald erhitzte er es auf einem Teelöffel und injizierte es mit einer alten Spritze, die jeder Arzt schaudernd in den Müll geworfen hätte. Die. Wirkung war wundervoll. Für eine Weile kam es John vor, als hätte er einen echten Freund gefunden.
    Doch schon zu Beginn wurde ihm klar, wie fordernd dieser neue Freund war. Gab man ihm kein Geld, kam er nicht zu Besuch, und wenn er zu lange fernblieb, kamen statt dessen die Schmerzen, die Übelkeit und die Krämpfe – die üblichen Symptome des Entzugs. Ich sagte bereits, daß John ein Junkie war. Die Spirale drehte sich immer schneller, und zwar nach unten. Und doch sollte es noch eine Zeit dauern, bis er ganz unten landen würde.«
    Free verstummte.

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