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Eine lange dunkle Nacht

Eine lange dunkle Nacht

Titel: Eine lange dunkle Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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unerträglich – die Verstümmelung hatte in seiner Hand unzählige Nerven beschädigt. Ohne Tabletten konnte er nicht schlafen. Er konnte sich nicht konzentrieren, konnte nicht normal atmen. Ließ die Wirkung der Tabletten nach, brach ihm kalter Schweiß aus. Allein der Gedanke an die Schmerzen versetzte ihn in Angst und Schrecken. Er war eine wandelnde Apotheke, ein Junkie auf Rezept. Er kam sich vor wie ein alter Mann, und er war erst neunzehn.
    John verlor. Tyler kam heil davon. Zwar lieferte John jede Menge Indizien, aber er konnte nicht beweisen, daß Tyler die Metallgreifer manipuliert hatte. Sie waren natürlich vorschriftsmäßig eingestellt gewesen, als die Polizei den Unglücksort drei Tage nach dem Vorfall untersucht hatte. Außerdem hatte John ohne Genehmigung an der Maschine herumgewerkelt. Wieviel Geld seine Konstruktion der Firma gespart hätte, interessierte niemanden. Man deutete sogar an, seine Umbauten könnten erst zu dem Unfall geführt haben.
    Als Johns Anwalt in erster Instanz verlor, verlor er auch jegliches Interesse, in die zweite zu gehen. John mußte sich nach einem anderen Anwalt umsehen, konnte aber keinen finden. Die Brotfabrik bot ihm eine außergerichtliche Einigung an – zehntausend Dollar, wenn er eine Verzichterklärung unterschrieb –, aber für John war dies eine schiere Unverschämtheit. Er war verstümmelt worden. Er würde nie wieder einen normalen Job annehmen können. Sie schuldeten ihm eine Million. Sie schuldeten ihm Gerechtigkeit.
    Doch alles, was er bekam, waren Schmerzen. Das Leben kann sehr böse sein – und sehr schmerzvoll. Einige Leute behaupten, emotionaler Schmerz sei der schlimmere, aber für gewöhnlich haben diese Leute kein körperliches Leiden. Es ist schwer zu sagen, was für John schlimmer war, die Tage oder die Nächte. Selbst die simpelsten Dinge wurden zum Problem – anziehen, ausziehen, Haare waschen, eine Flasche öffnen und dergleichen mehr. Außerdem starrten die Leute ständig auf seine Hand, beziehungsweise auf das, was von seiner Hand übrig war. Dies war für ihn besonders schwer, denn auf sein Aussehen war er immer stolz gewesen. Betrat er ein Geschäft, guckten ihm die Leute hinterher. Und wenn sie es nicht taten, dachte er trotzdem, sie täten es. Falls er nicht schon vorher paranoid gewesen war, jetzt war er's. Sein Selbstwertgefühl war dahin. Selbst flirten konnte er nicht mehr. Auch glaubte er, daß Candy ihn, falls er sie je wiedersah, abstoßend finden würde. Er verließ die Wohnung nie, ohne vorher seine Hand zu bandagieren, selbst als es nicht länger nötig war.
    Die Nächte waren ebenso schlimm. Die Wirkung der Tabletten hielt maximal drei Stunden an. Er konnte keine Nacht durchschlafen, der Schmerz weckte ihn immer wieder auf. Nur selten schlief er mehr als drei Stunden am Stück. Drehte er sich im Schlaf auf die falsche Seite und kam dabei an seine Hand, schoß ein höllischer Schmerz durch seinen Arm. Manchmal mußte er sich dazu gar nicht bewegen; er lag bloß da, und seine Hand pochte wie verrückt – selbst die Finger, die er nicht mehr besaß, pochten. Der Schmerz war dämonisch. Es war so, als wäre John vom Schmerz besessen. Er lag auf dem Rücken, schwitzte Blut und Wasser und konnte an nichts anderes denken als an sein verpfuschtes Leben.
    Er bekam Krankengeld, doch das lief irgendwann aus. Dann war er pleite. Sein Prozeß gegen die Backwarenfirma sollte wiederaufgenommen werden. Als sie erfuhren, daß er keinen Rechtsbeistand hatte, zogen sie ihr Zehntausend-Dollar-Angebot zurück. Er hatte noch immer keinen neuen Anwalt gefunden – woran er selbst schuld war. Er marschierte in eine Kanzlei und schrie sofort herum, wie unfair man ihn behandelt habe und wie beschissen die Welt doch sei. Die Anwälte wagten nicht, mit John vor Gericht zu gehen – sein Jähzorn würde dort sowieso alles verderben.
    Er suchte einen neuen Job, fand aber keinen. Etwas Richtiges hatte er nie gelernt; zwar konnte er alles Mögliche reparieren, aber mit seiner verkrüppelten Hand kam dies nun nicht mehr in Frage. Selbst in einem Büro konnte er nicht arbeiten. Mit links konnte er nicht schreiben, nicht einmal einen Brief konnte er öffnen. Doch eigentlich war er bei seiner Jobsuche selbst sein schlimmster Feind – wie immer. Er fand keinen Job, weil er keinen Job finden wollte. Weil er so schlecht schlief, war er tagsüber zu schlapp zum Arbeiten. Alles, was er wollte, war herumsitzen und lesen und fernsehen und Tabletten schlucken.
    Er

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