Eine lange dunkle Nacht
als erster bei ihm. Er nahm ein kleines weißes Handtuch – anscheinend hatte er es extra in seiner Tasche bereitgehalten – und umwickelte Johns rechte Hand damit. Sofort verfärbte es sich zu einem tiefen Rot. John blutete wie verrückt. Er hatte nicht nur zwei Finger verloren, sondern auch einen Teil der eigentlichen Hand. Tyler führte ihn schnell ins Büro, und irgend jemand rief einen Krankenwagen. Während sie auf den Notarzt warteten, legte Tyler ihm eine Aderpresse an, und das Bluten ließ allmählich nach. Wäre Tyler nicht gewesen, John hätte sterben können. In gewisser Weise rettete Tyler ihm das Leben. Wie nett von ihm.
Die Ärzte operierten John mehr als vier Stunden lang. Er wachte erst am nächsten Tag auf. Seine Hand war dick verbunden. Sie brannte wie Feuer, und es fühlte sich an, als wären die beiden Finger, die im Ofen geröstet worden waren, noch immer dran. Später fand er heraus, daß die Finger hübsch in ein Brötchen eingebettet aus dem Ofen herausgerollt waren, wo zwei Arbeiterinnen sie entdeckt hatten. Eine von ihnen war vor Schreck ohnmächtig zusammengeklappt. Einmal im Ofen geröstet, konnten die Finger natürlich nicht mehr angenäht werden.
John lag fünf Tage im Krankenhaus, und erst am dritten Tag wurde ihm bewußt, was passiert war. Tyler hatte die Metallgreifer neu justiert, wodurch diese tiefer als gewöhnlich hinabgesaust waren. Dies war die einzige logische Erklärung. Tyler hatte es vorsätzlich getan, weil John ihn bloßgestellt hatte. John konnte eine solch fiese Gemeinheit einfach nicht fassen. Es war wie die Sache mit Mr. Sims. John hatte lediglich seiner Freundin zu einer guten Note verhelfen wollen und war dafür in den Jugendknast geschickt und danach von allen angesehenen Universitäten verbannt worden. Dann hatte er versucht, die Produktivität der Backwarenfabrik zu erhöhen, und nun war er für den Rest seines Lebens verstümmelt. John machte sich keine Illusionen über eine vollständige Genesung, obwohl die Ärzte ihm immer wieder sagten, er müsse positiv denken. ›Denkt denn ein Guillotineopfer positiv, oder was?!‹ schrie er sie an. Was macht es schon, wenn der Kopf erst mal ab war? Weg ist weg.
Aber John wollte Rache. Das war das einzige, woran er denken konnte. Und weil er soviel daran dachte, packte er es richtig an. Er ging nicht einfach mit einer Pistole auf Tyler los. Als er aus dem Krankenhaus kam, nahm er einen Anwalt, der Johns Fall für ein Drittel des zu erwartenden Schmerzensgeldes übernahm. Und daß es Schmerzensgeld geben würde, schien allzu wahrscheinlich. John war an seinem Arbeitsplatz von einer Maschine verstümmelt worden, die bekanntermaßen gefährlich war. Doch John ging es nicht bloß ums Geld. Er wollte Tyler ins Gefängnis bringen. Er glaubte beweisen zu können, daß Tyler die Metallgreifer absichtlich manipuliert hatte. Er brachte zwei Verfahren in Gang, ein zivilrechtliches und ein strafrechtliches. Er wollte eine Million Dollar Schmerzensgeld, eine hübsche runde Summe.
Die Sache kam vor Gericht, das Strafverfahren zuerst. Der Zivilprozeß sollte später folgen, aber nicht viel später. Er wäre eine reine Formalität, falls das Strafverfahren für John günstig verlief. Wahrscheinlich wäre er dann sogar überflüssig. Die Firma würde zahlen, und Tyler würde hinter Gittern landen.
Doch noch vor Prozeßbeginn traf der Richter eine seltsame Entscheidung. Er gestattete, daß Johns Vorgeschichte – Verprügeln eines Lehrers, fünfzehn Wochen Jugendarrest – als Indiz zugelassen wurde. Es war eine absolute Frechheit vom Richter, damals allerdings gängige Praxis. Natürlich wußte Tyler von Johns Vergangenheit. John hatte ihm alles erzählt, als sie noch befreundet gewesen waren. Und wer erschien dann beim Prozeß? Natürlich der gute alte Mr. Sims. Johns Anwalt, der ebenso unfähig war wie Johns letzter, schaffte es nicht, das Gericht dazu zu bringen, sich einzig auf Johns verstümmelte Hand zu konzentrieren. Statt dessen mußte er John die ganze Zeit vor massiven Anschuldigungen in Schutz nehmen, nach denen John ein gewalttätiger, paranoider Schläger sei. Es half auch nicht gerade, daß John während der Verhandlung dreimal aufsprang und Sims und Tyler anschrie. Wegen Mißachtung des Gerichts mußte er daraufhin eine Nacht in Haft verbringen – ohne seine Schmerzmittel.
Als John aus dem Krankenhaus entlassen worden war, war er bereits kodein- und morphiumsüchtig. Nahm er die Mittel nicht, wurden die Schmerzen
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