Eine lange dunkle Nacht
lassen. Zusammen waren sie stark.«
»John war der einzige, der stark war!«
»Als es wirklich drauf ankam, war John ein Schwächling!« brüllte Poppy. »Als das mit seiner Hand passierte, was tat er da? Er versank in Selbstmitleid. Er hatte Schmerzen, so, so. Viele Leute haben Schmerzen und werden trotzdem keine Junkies.«
Free war empört. »Was weißt du schon von Schmerzen! Du hast dich doch vorsichtig durchs Leben gehangelt.«
»Ich habe sehr wohl gelitten«, entgegnete Poppy. »Früher oder später muß jeder mal leiden. So ist das Leben. Aber ich habe mich wieder aufgerappelt und mir mein Leben aufgebaut. Klar, ich habe Fehler gemacht, jede Menge, aber ich habe niemanden verletzt.«
»Ich wollte auch niemanden verletzen!« schrie Free verbittert.
Poppy klatschte in die Hände. Es war so, als hätte sie Free in eine bestimmte Richtung gelenkt, und jetzt hatte er den kritischen Punkt erreicht. »Ja! Richtig! Das ist die Wahrheit, die du nicht kennst. Hör mir zu, ich bin heute nacht genauso wegen dir wie wegen Teresa gekommen. Du gehörst nicht an diesen schrecklichen Ort, John. Du gehörst zu mir.«
Free lachte verdrossen. »Ich kann nicht mit dir gehen nach allem, was ich getan habe.«
»Was hast du getan?«
»Falls du es vergessen hast, ich habe dich umgebracht.«
»Nein«, unterbrach ihn Teresa.
Free wandte sich zu ihr um. »Du hältst dich da raus.«
»Stopp mal«, sagte Poppy schnell und musterte Teresa eindringlich. »Laß sie reden. Betrachte sie einfach als objektive Beobachterin. Teresa?«
Nur mit allerletzter Anstrengung hielt sich Teresa an der Wohnzimmerwand aufrecht. »Ich fand Candys Geschichte echt toll«, sagte sie. »Aber Johns Geschichte hat mich wirklich fasziniert. Ich glaube, weil er so begabt war und trotzdem immer wieder den kürzeren zog. Bis zum Schluß dachte ich, er würde sich zusammenreißen, Candy finden und mit ihr glücklich werden. Ich weiß, du hast am Anfang gesagt, die beiden würden nicht wieder zusammenkommen, aber ich habe es dennoch gehofft. Verstehst du?«
»Nein«, sagte Free. »Du hast keinen blassen Schimmer. Du hast John nicht gekannt.«
»Doch, das habe ich«, widersprach Teresa. »Ich habe ihn durch dich kennengelernt. Und zwar sehr gut. Er hat im Leben viel Pech gehabt, und was ich durchgemacht habe, ist nichts dagegen. Irgendwie habe ich ihn bewundert, ehrlich. Aber als du den Teil im Laden erzählt hast, wußte ich, du lügst. Ich habe mit Poppy darüber gesprochen, du kannst sie fragen. Ich weiß, daß John Candy nicht getötet hat.«
»Na klar, hab ich das!« protestierte er.. »Ich hab ihr ins Herz geschossen.« Er sah Poppy an. »Sag du's ihr.« Poppy schüttelte den Kopf.
»Sie hat recht, John.«
Er war verunsichert. »Aber ich war doch da. Ich weiß, was passiert ist.«
»Nein«, sagte Poppy. »Ich war da, mit dem einzigen Mann, den ich jemals wirklich geliebt habe. Du warst da, mit deinem Selbstmitleid und deiner Schuld. Und deine Schuld hast du mit ins Grab genommen. Du hast mich nicht erschossen, der Polizist war's. Er hat mich versehentlich getroffen, richtig, aber nichtsdestotrotz hat er mich getötet. Als ich getroffen wurde, hast du versucht, mich aufzufangen, hast versucht, zu verhindern, daß ich auf den schmutzigen Fußboden falle. Nicht, weil du mich als Schutzschild benutzen wolltest, nein, weil du mich in deinen Armen halten wolltest. Das war dir wichtiger, als zurückzuschießen – was du hättest tun können. Es war dir wichtiger, als aufzugeben und zu leben. Du wolltest mich einfach bloß halten. Mit diesem Wunsch bist du gestorben.«
Poppy ging einen Schritt auf ihn zu. »Warum mußt du in alle Ewigkeit Nacht für Nacht den Teufel spielen? Du bist doch gar nicht so böse. Ich liebe dich noch immer. Liebst auch du mich noch?«
Free starrte sie an, als sähe er sie zum ersten Mal, oder vielleicht als sähe er sie nach sehr langer Zeit wieder. Teresa wußte nicht, wann die beiden gelebt hatten.
»Was wolltest du mir sagen, bevor du gestorben bist?« fragte er.
»Daß ich meinen Sohn nach dir benannt habe.«
»Dann hast du dir das vorhin im Auto also nicht ausgedacht?« fragte Free.
»Es war die Wahrheit, die reine Wahrheit.«
Free wurde still. Nach einer Weile holte er tief Luft.
»Ja«, sagte er.
»Ja?« fragte Poppy.
»Ich liebe dich noch immer.«
Die gefühllose, abgeklärte Poppy fing an zu weinen. Sie nickte und biß sich auf die Lippen »Ja«, sagte sie, und das Wort hatte für sie den wundervollsten
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