Eine Leiche zu Ferragosto
ist ein paar Stunden später wieder da. Er versucht mit allen zu reden, aber er weiß, dass Sie die Ermittlungen im Fall Mazzoleni leiten.«
»Schick Gnarra zu ihm.«
»Schon geschehen, aber auch Brigadiere Gnarra will nicht mehr mit ihm reden, er sagt, der Typ nerve und er wisse nicht, was er wolle.«
»Wenn selbst Gnarra nicht mit ihm sprechen möchte, ist es ernst. Ich zeichne hier noch ein paar Sachen ab, dann fahre ich ins Dorf hinunter und fange mit den Befragungen an.«
»In Ordnung, Maresciallo, aber was soll ich mit dem Journalisten machen?«
»Lass dir was einfallen, Pasquale, ich nehme den Lieferantenausgang.«
Der Lieferantenausgang war in Wirklichkeit ein Trampelpfad am Berghang, der nach etlichen Windungen ein Stück weiter unten in der Nähe des Parkplatzes herauskam. Während Santomauro den Motor anließ, beobachtete er den Mann mit Sonnenbrille und Pferdeschwänzchen, der sich hektisch umdrehte und sofort hinter ihm her rannte.
Den ganzen Vormittag, während er von Geschäft zu Geschäft lief und das Foto von Elena Mazzoleni herumzeigte, verfolgte ihn der Journalist. Er beschattete ihn aus der Ferne, belauerte ihn scheinbar gleichgültig aus der Nähe, beäugte ihn frei heraus mit betont freundlicher Miene.
Der Typ mit dem Pferdeschwanz ließ nicht locker, doch Santomauro konnte stur sein wie ein Esel und ignorierte ihn einfach weiter, während er durch die Läden zog. Normalerweise war diese Laufarbeit die Aufgabe eines Gefreiten, doch wenn Santomauro sichergehen wollte, dass etwas gut gemacht wurde, tat er es am liebsten selbst. Alle hatten die verstorbene Signora gekannt, manche mit Namen, andere nur vom Sehen, alle erinnerten sich, ihr in diesem Sommer oder im letzten oder vorletzten etwas verkauft zu haben, aber niemand erinnerte sich genau, was erwarten Sie, Maresciallo, das ist Wochen her, wie sollen wir da noch wissen, wann wir sie zum letzten Mal gesehen haben?
Einen kleinen Erfolg konnte er bei Ciccinella verbuchen, dem bestsortierten Gemischtwarenladen des Ortes, geführt von der gleichnamigen Inhaberin, einer hundertundzwei Jahre alten Signora, die mit sämtlichen Angelegenheiten des Dorfes vertraut war und sich sogar erinnern konnte.
»Ich erinnere mich an diese Dame. Immer freundlich, eine wahre Signora.«
Das sagte sie mit einem Anflug von Zweifel in der Stimme. Wahrscheinlich glaubte Ciccinella, dass wahre Damen nicht freundlich sein durften. Die Alte war klein und dick, mit der Andeutung eines Flaums auf der Oberlippe, der ihr gut zu Gesicht stand. In ihrem Geschäft stieß man auf die kuriosesten und undenkbarsten Sachen, Überbleibsel einer Zeit, als es in Pioppica Sotto nur einen einzigen Laden gab und die Leute hier Seifenspäne, Seidenstrümpfe und Schulfibeln kauften. Nun bot Ciccinella dank einer unternehmerisch begabten Nichte ihrer treuen Kundschaft auch ein Sortiment an Luxusgütern, Feinkost und anderem.
»Das ist doch die, die sie zerstückelt haben. Hat sich diesenSommer kaum blicken lassen. Ich erinnere mich noch genau, wann ich sie zum letzten Mal gesehen habe.«
»Bestens! Und wann war das?«
»Nein, also an den genauen Tag erinnere ich mich nicht mehr.«
»Ach so, schon klar, ist wohl zu lange her, trotzdem danke«, erwiderte Santomauro entmutigt.
»Einen Moment, Maresciallo, nun rennen Sie doch nicht gleich davon. Ich erinnere mich, weil ich mich an sie erinnere.«
Santomauro blieb auf der Schwelle stehen, halb drinnen, halb schon jenseits des bunten Perlenvorhangs: »Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, dass sie nach etwas Merkwürdigem gefragt hat, und deswegen erinnere ich mich.«
»Und was war das Merkwürdige?«
»Wenn die Signora Kaffee kaufte, achtete sie nicht auf die Marke, sie meinte, der sei für ihren Mann, aber beim Tee war sie sehr anspruchsvoll, sie trank nur Twinings und nahm immer den Queen Mary. Aber dieses eine Mal verlangte sie nach etwas anderem. Sie kam ganz aufgeregt herein: ›Ciccinella, nur Ihr könnt mich retten. Habt Ihr Bancha-Tee?‹«
»Bancha-Tee? Was soll denn das sein?«, fragte Santomauro.
»Ein übles, völlig ungenießbares Gebräu, das aus chinesischen Pflaumen gemacht wird und von dem alle schwärmen, wie gesund es sei. Zum Glück habe ich immer einen kleinen Vorrat davon für den Commendatore Spataro, der behauptet, dass es ihm dann besser gehe, bei allem Respekt, und so konnte ich der armen Signora helfen, die hochzufrieden hinausmarschierte. Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen
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