Eine Leiche zu Ferragosto
Schatten in ihrem Blick, oder vielleicht interpretierte er das auch nur hinein, da er wusste, dass sie ermordet worden war. Die Beschreibung des Ehemanns passte genau, ganz hübsch, aber nicht schön, die etwas lange Nase und die schmalen Lippen beeinträchtigten die Wirkung ihrer schwarzen Augen ein wenig. Sie trug das dunkle, glatte Haar schulterlang. Die Träger des Badeanzuges betonten die anmutige Linie ihres Schlüssel- und Brustbeins. Er hatte es ihm mit einem lakonischen »Elena im Sommer vor zwei Jahren« in die Hand gedrückt, sonst nichts.
Elena.
Einmal, als sie mit Pippo gestritten hatte, das war aber schon lange her, noch vor seiner ersten Hochzeit, wäre er beinah mit ihr ins Bett gegangen, hatte es dann aber doch lieber gelassen. Eine Nacht mit ihr war die Komplikationen, die daraus erwuchsen, nicht wert. Außerdem war er damals in Valentina verliebt, und er wollte nicht riskieren, alles zu vermasseln.
Mit Valentina hatte er es ein Mal bis ins Bett geschafft, nur ein Mal, und die Erinnerung daran brannte noch immer. Vielleicht hätte er doch besser Elena nehmen sollen.
Sehr nett von Regina, ihn zu informieren, aber was erwartete sie von ihm? Sollte er jemanden anrufen, um die Nachricht weiterzutragen wie bei einer Art Kettenbrief?
Seufzend nahm Ingenieur Buonocore wieder das Telefon zur Hand.
Abends zu Hause betrachtete Santomauro noch einmal das Bild, das er schon in Kopie an seine Mitarbeiter verteilt hatte.
Die erste Aufgabe lautete nun, alle Bewegungen der Toten in den Tagen vor ihrem Verschwinden zu rekonstruieren. Dann würde die Vernehmung des engeren und weiteren Freundes- und Bekanntenkreises folgen. Santomauro glaubte nicht an ein Zufallsdelikt. Dafür war zu viel Grausamkeit im Spiel gewesen, hatte zu viel seit langem unterdrückter Hass in den Messerstichen gelegen, die Elena Mazzolenis Körper aufgeschlitzt hatten.
Gnarra und Manfredi kamen einzeln hereingetröpfelt, zuerst der eine, dann der andere, aber Santomauro hatte den Verdacht, dass sie sich abgesprochen hatten. Auch sie standen in den Startlöchern. Endlich war Bewegung in die Sache gekommen, die eigentliche Arbeit konnte beginnen.
»Wir wissen, wer sie ist, damit können wir loslegen! Ich habe mich so machtlos gefühlt, immer nur untätig herumzusitzen und nichts zustande zu bringen.«
»Und wenn du schon nichts zum Stehen bringst, denk nur, wie es der armen Maria Pia geht. Aber eins muss ich dem gutenMädchen sagen, nächstes Mal soll sie mir Bescheid geben. Wenn du es mal wieder nicht bringst, ich stehe immer bereit, wofür hat man denn Freunde, nicht wahr?«
»Gnarra, hüte deine Zunge!«
Während die zwei Freunde sich kabbelten und dabei seinen Walnusslikör leerten, betrachtete Santomauro rauchend das Foto. Auch er hatte sich in seiner Machtlosigkeit gelähmt gefühlt, unfähig, dieser armen, gepeinigten Leiche auch nur einen Namen zu geben, geschweige denn, ihr die ihr zustehende Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Nun, beim Anblick des lächelnden Gesichts der toten Frau, versprach er sich im Stillen, dass der Mörder dafür büßen würde.
Er hatte immer das Bedürfnis gehabt, die Menschen zu kennen, zu deren gewaltsamem Tod er ermittelte. Es war so eine Art Respektsbekundung, zu wissen, wie sie ausgesehen hatten, was sie gerne gemacht, was am liebsten gegessen hatten, wen sie unsympathisch fanden und wen sie liebten. Alles ganz klar Details, die dem Ermittlungsfortgang dienten, doch für den Maresciallo hatten sie auch eine persönliche Note, als postume Hommage an einen Menschen, der aus dem Leben gerissen worden war. Seine Art, ihm zu sagen, sieh her, ich arbeite daran herauszufinden, wer du warst, nicht nur daran, warum und durch wessen Hand du gestorben bist.
In jener Nacht träumte Santomauro von der toten Frau, so wie er sie zum ersten Mal gesehen hatte, rücklings auf den stinkenden Algen liegend, die ihre obszönen Verletzungen teilweise verdeckten. Doch die Leiche hatte nicht Elena Mazzolenis Gesicht.
Sie hatte das Gesicht seiner Frau.
Montag, 13. August
»Maresciallo, erlauben Sie mir zwei kurze Fragen?«
»Kein Kommentar.«
Im Fernsehen funktionierte das doch auch immer, warum ließ diese Klette ihn dann nicht in Ruhe? Früh am Morgen schon hatte er vor der Carabinieriwache gestanden. Santomauro war ihm genervt ausgewichen und hatte sich dann bei Cozzone nach ihm erkundigt.
»Er ist Journalist, Maresciallo, hat sich gestern Mittag hier postiert, zwischendurch geht er weg und
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