Eine Liebe in Paris
seiner Tasche. Solène unterdrückte ein Schluchzen.
»Beruhige dich. Es wird schon alles gut werden.«
»Nein, nein, das habe ich verbockt …« Jetzt weinte sie, sodass der Lehrer aufsah.
»Solène, der Test, bitte.«
Solène konnte kaum aufstehen und so half ich ihr auf die Füße. Sie ging nach vorn zum Pult, streckte eine zitternde Hand nach dem Papier aus, sah auf die Note und ließ den Arm mit einem Schluchzen gegen ihr Bein fallen. Dannwankte sie mehr, als dass sie ging, zu unserem gemeinsamen Pult zurück.
»Was ist denn? Was ist es? Hast du deine zwölf Punkte bekommen?«
Solène wischte sich die Augen und der Lehrer warf ihr einen mitleidigen Blick zu. Ich griff nach dem Test, drehte ihn um und schnappte nach Luft. Solène hatte fünfzehn Punkte erreicht, nur einen Punkt unter der bestmöglichen Note. Ich umarmte sie.
»Na siehst du«, murmelte ich, als sie sich wie ein Kind an mich klammerte und schniefte. »Na, siehst du mal. Alles ist in Ordnung.«
Sie sah mich an und lächelte. »
Merci, Ava
«, murmelte sie dann.
Na also, ich machte doch auch zur Abwechslung mal was richtig!
Die Woche verging wie im Flug. Ich versuchte, jeden Nachmittag nach der Schule noch etwas zu unternehmen und noch mehr von der Stadt zu sehen, doch die Zeit wurde einfach zu knapp. Ich stieg auf den Eiffelturm, ging ins
Musée d’Orsay
und genoss es am meisten, einfach in einem der vielen Cafés entlang der geschäftigen Straßen zu sitzen und das bunte Leben rundherum zu genießen. Die
Garçons
zündeten schon morgens die Heizstrahler an, und wenn man einmal einen Kaffee bestellt hatte, konnte man so lange sitzen, wie man nur wollte.
Das
Marais
mied ich, denn davon hatte ich nun wirklich genug gesehen. Dennoch konnte ich keinen anderen jungen Mann anschauen, ohne ihn mit Wolff zu vergleichen. Wer sonst hatte so einen Mund, den man einfach küssen wollte? Wer sonst lachte so frei und hatte so schöne begabte Hände? Und wer sonst war so ein riesengroßes Schwein, verbot ich mir jeden weiteren Gedanken an ihn – was natürlich nicht gelang, denn genauso gut hätte ich der Sonne verbieten können zu scheinen. War es doch mehr als nur verletzte Eitelkeit, was ich für ihn empfunden hatte? Wenn ich mit meinen Gedanken an diesen Punkt kam, zahlte ich meist, stand auf und verließ das Café. Mein Handy schien sich ab und zu von selbst in meine Hand zu schmuggeln und wie durch Zufall den Buchstaben W und alle darunter gespeicherten Namen aufzurufen.
Wolff
las ich manchmal und drückte den Namen schnell weg. Wenn überhaupt, dann sollte er mich anrufen, entschied ich.
Schließlich brach mein letztes Wochenende in Paris an.
»Was willst du heute machen?«, fragte Camille mich, als ich ihr im Gang begegnete.
»Ich weiß es nicht. Ich bin zu traurig, um eine Idee zu haben.«
»Hm. Wie wäre es mit einem Museum? Oder hast du die alle schon besucht?«
»So ungefähr. Nein, heute brauche ich Menschen um mich und keine Bilder.«
»Menschen also … Wollen wir vielleicht einkaufen gehen?« »Nur einkaufen, sonst nichts?«
»Bist du aber schwer zufriedenzustellen.« Sie überlegte und kaute einen Augenblick lang auf ihrer Unterlippe. »Vor dem Einkaufen können wir in die
Tuilerien
gehen und uns dort das Museum in der
Orangerie
anschauen. Oder warst du da auch schon?«
»Wie wäre es mit den Katakomben von Paris?«, entfuhr es mir und sie sah mich überrascht an.
»Ich hätte nicht gedacht, dass dich das interessiert. Unsere
Scéance
hat dich eher kaltgelassen, oder?«
»So würde ich das nicht ausdrücken«, erwiderte ich rätselhaft. »Sind die Katakomben denn weit weg?«
»Nein, gar nicht. Sie sind im vierzehnten
Arrondissement
an der
Place Denfert-Rochereau
. Wenn du willst, fahren wir zusammen vor dem Shoppen hin.«
Ich dachte kurz an Wolff und daran, was er mir von den Knochen erzählt hatte.
»Ist es denn sehr gruselig dort?«, fragte ich Camille.
»Nein. Gruselig ist nicht das richtige Wort. Erhebend eher, oder … schön. Besonders. Es macht dich nachdenklich, all diese Gebeine zu sehen. Es gibt zwei Gerippe, deren Knochen miteinander verschlungen sind. Wir in Paris nennen sie
Les Amants
, und Besucher aus aller Welt schauen sie sich an, um um Glück in der Liebe zu beten.«
Glück in der Liebe?, dachte ich. Das konnte ich gerade gut gebrauchen.
»Also, dann lass uns die Katakomben besuchen«, sagte ich deshalb.
»Hier sind wir schon«, sagte Camille, als wir an der
Place Denfert-Rochereau
ankamen. Sie fasste
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