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Eine Liebe in Paris

Eine Liebe in Paris

Titel: Eine Liebe in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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meine letzte Woche in Paris brach an. Im Haus hörte ich es rumoren, die Lefebvres bereiteten das Frühstück zu. Henri und Marie waren den gesamten Sonntag über allein unterwegs gewesen, und Camille hatte im Hospiz gearbeitet, sodass ich nur eines zu tun gehabt hatte: nämlich zu malen. Nun sah mich die Leinwand an, sie lehnte gegen ein Bein des Schreibtisches und forderte meine Aufmerksamkeit für sich. Die Farben wirbelten in meine noch müden Augen und doch war ich stolz auf meine Arbeit.
    Liebe hat viele Gesichter
, hatte Henri gesagt, und ich hatte den Satz in dieses Bild gearbeitet. Als ich den Kopf schief legte, versuchte ich, einige dieser Gesichter auf meiner Leinwand auszumachen. Wenn ich die Augen zusammenkniff, konnte ich zum Beispiel meine Mutter erkennen und uns Amazonen. Wo war Mogens? Ich konzentrierte mich sehr und suchte in dem farbigen, wilden Wirbel nach ihm. Nach einer Weile gab ich seufzend auf.
    Schade, dass ich Wolff die Leinwand nicht zeigen konnte, dachte ich. Nur so natürlich und nur, um seine Meinung alserfolgreicher Künstler zu hören. Sonst interessierte er mich nicht mehr. Wirklich nicht.
    »Guten Morgen«, sagte Camille, als ich in die Küche kam. »Bist du bereit für deine letzte Woche am
Lycée Franco-Américain?
«
    Ich nickte. »Ich kann es nicht fassen, wie schnell die Zeit vergangen ist. Habe ich denn genug von Paris kennengelernt?«
    Marie betrat die Küche, und wir verstummten beide, denn ich hatte sie seit vorgestern Abend im Salon noch nicht wieder richtig gesehen oder gesprochen.
    »Hallo, Ava, wie geht es dir?«, fragte sie mich. Ihre Hand fuhr unwillkürlich an ihren Hals, um den sie wieder das Samtband mit dem goldenen Kreuz trug.
    »Ja, danke.«
    Sie kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. »Was für eine Geschichte. Hat dir Wolff … ich meine, haben wir dir sehr wehgetan? Es tut mir so leid. Das hätte nie so kommen dürfen. Aber nun ist es vorbei, wie Henri sagt.«
    Ich nickte. »Ich war so beeindruckt und geblendet von ihm, mehr, als dass ich wirklich tief für ihn empfunden habe.«
    »Du kanntest ihn ja kaum. Gott sei Dank, sonst hättest du doch noch tief für ihn empfunden.«
    Marie küsste mich auf mein Haar. Die mütterliche Geste erstaunte mich und freute mich zugleich. Ich war wirklich zu einer zweiten Tochter für sie und zu einer Freundin für Camille geworden. Die stellte ihren Teller und ihre Tasse in den Ausguss.
    »Lass uns gehen, sonst kommen wir noch zu spät.«
    »Okay«, sagte ich und nahm meine Schultasche.
    »Was steht heute bei dir an?«
    »Ich glaube, die Klasse bekommt ihren Mathetest zurück«, sagte ich.
    Camille verdrehte die Augen. »Das muss herrlich sein, in der Schule einfach nur zu Besuch zu sein und sich um nichts Sorgen zu machen.«
    »Das ist es auch«, entgegnete ich lachend. »Aber bald hat die Wirklichkeit mich wieder, und ich muss alles aufholen, was ich in dem Monat verpasst habe.«
    »Hast du wirklich etwas verpasst?«
    »Nein, ich habe für mein Leben gelernt«, erwiderte ich und musste jetzt noch mehr lachen.
    Solène saß blass und still neben mir und wechselte nur in regelmäßigen Abständen den Finger, an dem sie gerade knabberte. Ich warf einen Blick auf ihre Fingernägel und erschrak, denn sie waren beinahe bis aufs Fleisch abgenagt. Das war nicht nur heute Morgen passiert, sondern sie musste ständig daran gewesen sein.
    »Gleich kommt der Lehrer«, sagte sie. »Oje, ich hoffe, ich habe meine zwölf Punkte erreicht.«
    »Weshalb brauchst du denn unbedingt zwölf Punkte?«, fragte ich sie.
    »Um für die
Classe Prépa
aufgenommen zu werden.«
    »Die was?«
    »Das ist der Vorbereitungskurs für die Wirtschaftsuni. Ohne die
Classe Prépa
bestehe ich den Aufnahmetest in die Uni selber nie.«
    »Ich drücke dir die Daumen«, sagte ich mitfühlend.
    Als der Mathelehrer hereinkam, setzte Solène sich stocksteif auf. »Ich glaube, die eine Gleichung habe ich verbockt. Der Graph musste doch so verlaufen«, flüsterte sie und malte mit ihrem Finger eine Linie in die Luft. »Mist«, murmelte sie dann und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    »Mach dir keine Sorgen. Das wird schon geklappt haben. Wenn nicht, dann schreibst du das nächste Mal eine bessere Note, okay?«
    »Nein, nein, ich muss
jetzt
meine Papiere für die
Classe Prépa
ausfüllen.«
    Ich legte meine Hand auf ihren Arm, an dem die Haut sich klamm anfühlte.
    »
Mesdemoiselles, Messieurs, vos papiers
«, sagte der Mathelehrer und hob einen Stapel Papiere aus

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