Eine Liebe in Paris
mich unter.
Ich sah zum Eingang der Katakomben, vor dem einige Menschen Schlange standen. Wir reihten uns schweigend ein. Was erwartete uns dort unten?, fragte ich mich. Ein enger, tiefer Stollen, der nach Moder roch? Würde ich wieder Angst haben, wie damals bei Camilles
Scéance?
Über uns leuchtete der Himmel blau und die Luft war klar und kühl. Mit einem Mal wollte ich nicht mehr dort hinunter und Camille musste wieder meine Gedanken gelesen haben. Kein Wunder, dass sie ein gutes Medium abgab.
»Jetzt nicht Bange machen«, sagte sie. »Wir müssen ja nicht lange bleiben.«
»Also gut«, erwiderte ich und löste gemeinsam mit ihr eine Eintrittskarte. Wir traten durch das Drehkreuz und hinter der grün gestrichenen Tür gähnte der Schlund, der zur Unterwelt von Paris führte.
Ich holte tief Atem, Camille nahm meine Hand und ich folgte ihr die schmale Treppe hinunter in die ehemaligen Stollen der Stadt. Die Gänge wanden sich tiefer und tiefer in die Erde, und meine Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Die Birnen an den Wänden leuchteten nur matt, und ich versuchte, den Geruch so tief im Bauch der Erde zu identifizieren. Es roch nach Herbstund nach Winter. Es roch nach Vergangenheit und auch nach Unvergänglichem.
»Hier entlang«, flüsterte Camille, als ob eine zu laute Stimme den seltsamen Frieden des Ortes stören könnte. Ich folgte ihr und konzentrierte mich ganz auf meine Schritte, um auf dem unebenen Boden nicht zu stolpern.
»Schau. Es geht los«, sagte sie leise und ich hob den Blick. Ich ließ Camilles Hand los, um mich zu fassen. Die Luft so tief unter der Erde war feucht und dick und jeder Atemzug fiel mir schwer. Ich schloss kurz die Lider, und als ich sie wieder öffnete, versuchte ich, diesen Anblick ganz in mich aufzunehmen: Rechts und links an den Wänden lagen, so weit das Auge reichte, Tausende Knochen und Schädel aufgereiht, und das Gebein war tatsächlich von den Totengräbern kunstvoll arrangiert worden. Knochen lagen auf Knochen und Reihen von Schädeln thronten obenauf. Sie formten keine Gerippe, und diese körperlosen Knochen hatte etwas Künstlerisches, aber auch etwas Trauriges an sich. Sie machten mir keine Angst, sondern stimmten mich eher nachdenklich.
Dennoch überlief ein Frösteln meine Arme, als Camille mich weiterzog und sagte: »Ich zeige dir jetzt
Les Amants
.«
Ich folgte ihr durch endlos scheinende Gänge, in denen vor lauter Knochen kein Stück Wand mehr zu sehen war.
»Da sind wir«, sagte Camille schließlich und trat beiseite. Vor uns im Boden tat sich eine Grube auf, über die eine Glasplatte gelegt worden war. Seitlich leuchteten Lampen und tauchten die beiden dort liegenden Gerippe in ein weichesLicht. Nach all den losen Knochen erstaunte ihr Anblick mich: Wie menschlich diese beiden so dicht aneinandergedrückten Skelette noch wirkten. Das eine Gerippe war sehr viel kleiner als das andere und hatte den Schädel auf der Schulter des großen, offensichtlich männlichen Skelettes liegen, dessen Armknochen sich dagegen im Brustkasten des anderen aufzulösen schien. Ich hatte so etwas noch nie gesehen und hätte es mir auch nicht vorstellen können: Die Innigkeit, mit der diese beiden Menschen noch im Tod miteinander verschlungen waren, ließ mir die Tränen in die Augen steigen.
»So geht es allen«, flüsterte Camille und wischte sich selber eine Träne aus dem Augenwinkel.
»Wer waren die beiden?«
»Das weiß niemand.«
»Aber wer hat sie so hingelegt? Auch die Totengräber von Paris?«
Camille schüttelte den Kopf. »Es heißt, ihre Knochen sind hier so gefunden worden, als man begonnen hat, den Stollen als Beinhaus zu nutzen.«
Ich sah wieder auf die Gerippe. Welche Geschichte verbarg sich wohl hinter diesen beiden, die auch im Tod nicht getrennt werden wollten? Hatten sie sich hierher geflüchtet oder waren sie gemeinsam so beerdigt worden?
»Jetzt kannst du um Glück in der Liebe bitten«, flüsterte Camille. »Ich tue es auch.«
Ich schloss die Augen und unwillkürlich schob sich Wolffs Bild vor mich.
Camille schien wieder meine Gedanken zu lesen, denn sie sagte streng: »Bitte nicht um Wolff, Ava. Bitte um einen jungen Mann, der nur dich liebt und dich auf Händen trägt.«
Und genau das tat ich, und zwar inbrünstig.
Der Verkehr auf dem
Place de la Concorde
vor dem Eingang der
Tuilerien
war in der Mittagsstunde bereits zum Erliegen gekommen, als wir aus der
Métro
auftauchten.
»Wollen wir zuerst
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