Eine Liebe in Paris
lange gewartet hatte, das Ende aller zu bringenden Opfer, wie sie es nannte?
»
C’est moi, Papa
– Ava und ich«, verbesserte Camille sich dann rasch.
»Kommt herein«, sagte Henri und seine Stimme klang müde.
Camille drückte die Klinke herunter. Ich blinzelte vor Überraschung. Im Salon brannten Kerzen und leise Musikdrang aus dem iPod. Marie saß in einer Sofaecke. Sie hatte sich ein Kissen auf den Bauch gelegt und die Arme darumgeschlungen. Ich wagte es kaum, sie anzuschauen, doch als ich den Blick zu ihr hob, war ihr Gesicht ungeschminkt, mit Tränen überströmt und doch viel schöner, als ich es je zuvor gesehen hatte. Henri stand hinter ihr und legte seine Hand auf ihre Schulter, als wir eintraten. Die Geste hatte etwas Starkes, Schützendes und Ermutigendes an sich.
»Hallo, ihr zwei«, sagte er, und ehe Camille mich zurückhalten konnte, platzte ich schon heraus: »Es tut mir so leid.«
Marie sah mich an und sagte leise: »Es muss dir nicht leidtun. Wenn es jemandem leidtun sollte, dann Wolff.«
»Das tut es auch«, sagten Camille und ich wie aus einem Mund und warfen uns gegenseitig einen verschwörerischen Blick zu.
Henris Hand ruhte weiter auf Maries Schulter, und ich sah, wie ihre Finger nun nach seiner Hand suchten.
»Setzt euch«, sagte Henri und zeigte auf die beiden Sessel, die dem Sofa gegenüberstanden.
Wir gehorchten, doch mir war noch immer nicht wohl zumute. Henri nahm neben seiner Frau Platz.
»Was geschehen ist, lässt sich nicht wiedergutmachen«, begann er.
Marie schluchzte auf. »Henri, bitte …«
»Warte, Marie … Es lässt sich nicht wiedergutmachen, aber es ist vorbei. Und nun können wir beide vergessen und vergeben.«
»Nur
du
musst mir vergeben. Ich habe mich abscheulich benommen und bin einem dummen Traum nachgejagt«, schluchzte Marie wieder.
Henri küsste ihre Hand. »Mit Träumen ist das so eine Sache. Es ist sehr schwer, sie loszulassen. Zudem hat auch ein jeder ein Recht auf sie. Camille zum Beispiel will Ärztin werden, das ist ihr Traum. Ich denke, diesen Traum können wir ihr doch zugestehen, oder?«
Marie weinte und nickte heftig. »Entschuldige, entschuldige, mein Kleines.«
»Bleibt ihr beide zusammen?«, fragte Camille leise und ihre Stimme zitterte. Sie war nun nicht mehr so cool und sicher wie gerade eben noch im Gang. Natürlich nicht. Wenn irgendjemand schon lange begriffen hatte, was auf dem Spiel stand, dann sie.
Maries Knöchel wurden weiß, so fest griff sie Henris Hand, während wir auf seine Antwort warteten. Henri wandte sich zuerst seiner Tochter und dann seiner Frau zu.
»Vergessen und vergeben haben wir gesagt. Lasst uns nach vorn sehen. Alle miteinander.«
»Liebst du mich denn noch?«, flüsterte Marie.
Camille hielt die Luft an und ihr Blick lag wie gebannt auf ihren Eltern.
Henri nickte. »Ja. Bis zu meinem letzten Atemzug.«
Marie schluchzte auf und öffnete ihre Arme. Henri zog sie an sich, umschlang sie und beide kauerten in dieser Haltung eine Weile auf dem Sofa. Ich sah beinahe ehrfürchtig in seinGesicht mit den geschlossenen Augen und den zusammengepressten Lippen. Eine Ehe war ein geheimnisvolles Gewebe, in das von außen niemand einsehen konnte, und diese Ehe mehr als alle anderen.
Camille sprang aus ihrem Sessel auf und warf sich weinend zu ihren Eltern aufs Sofa. Henri umschlang seine beiden Frauen, und Marie küsste Camille, wo sie es nur konnte. Dann sah sie zu mir.
»Verzeih mir, Ava.«
»Ich habe nichts zu verzeihen, Marie. Ich bin nur froh, dass alles so gekommen ist, wie es jetzt ist.«
Henri rückte sich die Brille zurecht. »Liebe hat viele Gesichter. Wir schaffen das, denn wir gehören zusammen.«
Ich nickte, doch niemand beachtete mich mehr, und so stand ich auf und schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer. Draußen im Gang atmete ich tief durch, mein Herz schlug wieder normal und meine Beine zitterten nicht mehr. Aus dem Salon drangen Stimmen, wieder Weinen, aber auch Lachen zu mir.
Vielleicht hatte Camille recht: Es war das Ende aller Lügen und somit hatte alles doch etwas Gutes an sich.
Gott sei Dank war dieser Tag vorbei. Ich bemerkte erst auf der Treppe, dass ich noch immer die Tüte mit der Palette vom Flohmarkt in der Hand hielt. In meinem
Chambre de Bonne
angekommen, packte ich sie aus. Meine kleine Schreibtischlampe warf fleckige Schatten auf die verkrusteten Farbreste und das ungleichmäßig gemaserte Holz. Was wollte ichnun damit tun, überlegte ich. Wegwerfen? Nein. Dazu war sie zu
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