Eine Liebe in Paris
mich an seine Küsse. Ich sah auf seine Hände und dachte an seine Umarmung.
»Kann ich einige Schritte mit dir gehen?«
Ich sah zu Camille, die mit den Schultern zuckte. »Ich warte hier auf dich, okay?«
»Gut. Es wird nicht lange dauern«, sagte ich und wandte mich an Wolff. »Lass uns gehen.«
Der Kies knirschte unter unseren Schritten und ich hielt bemüht Abstand zu ihm. Denn trotz aller Einsicht fand ich ihn noch immer so anziehend wie zuvor.
Eine Weile schwiegen wir, ehe Wolff wieder begann: »Ava, es tut mir so leid. Ich meine, es tut mir leid, wie alles gekommen ist. Mir ist dieser unglückliche Nachmittag hundertmaldurch den Kopf gegangen, und da ist so viel, was ich dir sagen will. Es ist ein Geschenk des Himmels, dass wir uns hier treffen.«
Das passte nicht zu ihm, fand ich. »Du hättest doch auch anrufen können, wenn dir so viel auf dem Herzen liegt«, sagte ich trotzig.
»Hättest du meinen Anruf denn entgegengenommen?«
»Wohl nicht.«
»Na siehst du.« Er blieb stehen und kniff im hellen Nachmittagslicht, das vom Kies der
Tuilerien
reflektiert wurde, die Augen zusammen.
»Ich habe niemandem wehtun wollen. Die Geschichte mit Marie wollte ich schon lange beenden, aber sie hat es mir nicht erlaubt …«
»Und die Geschichte mit mir hast du nicht anfangen wollen, aber das habe ich dir auch nicht erlaubt«, stellte ich trocken fest.
»Hm. So ungefähr. Aber du bist ein tolles Mädchen, Ava. Witzig, hübsch und intelligent. Das ganze Paket ist klasse. Wie hätte ich da als Mann Nein sagen können?«
»Du hast aber Nein gesagt.«
Er seufzte und fuhr sich durch die Haare. »Ava, ich will eigentlich nur malen, das ist alles. Ich habe weder Kopf noch Herz frei für eine Liebesgeschichte. Was mich zur Malerei treibt, ist …«
»
La Passion
«, unterbrach ich ihn, und er warf mir einen kurzen Blick zu, den ich nicht ganz deuten konnte.
»Aber Marie wollte das nicht hören und du …«
Nun musste ich laut lachen. »Ich wollte das auch nicht hören.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Weißt du, manchmal ist es gar nicht so einfach, eine Entscheidung zu treffen und loszulassen, obwohl es das Einfachste der Welt sein kann. Ich denke, so ehrlich muss man sein, oder?«
»Die Welt ist nicht schwarz und weiß, Jean-Loup, sie ist voller Farbe.«
Er lächelte mich an, als ich seinen Vornamen gebrauchte. »Stimmt, Ava, das schnelle und schlaue Mädchen aus dem Flugzeug. Ich bin gespannt, was aus dir wird, und freue mich darauf, dich später einmal wiederzusehen.«
Ich ließ einige Atemzüge vergehen und sagte dann gelassen: »Ja. Vielleicht. Später.«
Dann sah ich auf meine Uhr. »Ich muss jetzt los, ich muss noch packen.«
»Wer bringt dich zum Flughafen?«
»Die Lefebvres.«
»Und wer holt dich ab? Deine Mutter?«
Ich schwieg, und als ich den Kopf hob, senkte Wolff seinen, und ich dachte, er wollte sich mit
la bise
von mir verabschieden, aber stattdessen küsste er mich auf den Mund. Ich vergaß zu denken und erwiderte den Kuss, in dem ich die vergangenen vier Wochen schmeckte: bittersüß und unvergesslich.
Hier in Paris kann jederzeit alles passieren
.
Er ließ mich unvermittelt los, wandte sich um und ging davon. Einige Meter weiter drehte er sich doch noch einmal um und warf mir eine Kusshand zu.
Ich winkte zurück, als Camille neben mich trat und ihren Arm wieder um meine Schultern legte.
»Was hat er gesagt?«, fragte sie.
»Er war ehrlich. Absolut ehrlich.«
»Aha. Was heißt das?«
»Das heißt, dass eine Entscheidung zu treffen und loszulassen, wenn etwas nicht das Richtige ist, nicht einfach ist, obwohl es das Einfachste der Welt sein kann.«
Camille lachte. »Und was heißt
das?
«
Ich seufzte. »Das heißt, dass ich Mogens leider anrufen muss, und zwar dringend.«
Als ich allein in der S-Bahn vom Münchner Flughafen zum Hauptbahnhof saß, lehnte ich mich in die blaugrünen Polster und sah aus dem Fenster. Die Namen und die Häuser der Münchner Vorstädte flogen an mir vorbei. Es tat gut, diese Reise nach Hause allein anzutreten: allein mit mir. Ich freute mich auf Augsburg und darauf, meine Mutter wiederzusehen, auch wenn es nicht mehr dieselbe Stadt für mich war und ich nicht mehr dieselbe Ava.
»Komm mich bald besuchen«, hatte ich beim Abschied zu Camille gesagt.
»Ja, oder du – komm doch zum Studieren«, hatte sie erwidert.
Ich suchte in meiner Erinnerung nach dem bittersüßen Geschmack, nach dem ich bereits süchtig war und der der Geschmack der Pariser
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