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Eine Liebesehe

Titel: Eine Liebesehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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Erziehungsmaßregeln befolgt. Plötzlich fiel ihm ein, daß er an dem Tage fortgelaufen war, als er Ruth zum erstenmal erblickte. Sein ganzer lange aufgestauter Fluchtwunsch hatte ihn zu einem Sprunge bewegt, dessen Spannung bis jetzt angehalten hatte. So sahen seine Eltern es an, wie er erkannte. Zweifellos glaubten sie daran, daß William eines Tages zurückkehren würde.
    »Es ist besser, wenn man als junger Mensch seinem Impuls folgt«, sagte er zu Ruth, verschwieg ihr jedoch, was er gedacht hatte.
    »Hal hatte gar keinen Grund, wegzulaufen – er hat es ja gut zu Hause«, entgegnete sie kurz angebunden.
    Sie rieb die Möbel blank, wischte die Treppe auf und stieg zu dem sauberen Speicher hinauf, weil sich ihr von den hoch angebrachten Fenstern aus eine weite Sicht bot. William kam mit, um die aufgestapelten alten Zeitschriften durchzusehen. Er machte Ruth keine Vorwürfe, weil er wußte, als hätte sie es ihm mit Worten gesagt, daß sie sich selber Vorwürfe machte.
    Sie brach unter ihren Selbstvorwürfen beinahe zusammen, als die Abenddämmerung sich herabsenkte. Er brauchte es ihr nicht noch zu erschweren. Ihr Zorn schwand, und am Abend bebte sie vor Angst. Noch nie hatte er sie in dem Zustand gesehen, in den sie dann geriet, als schließlich die Dunkelheit die Straße verhüllte und der Junge immer noch nicht heimgekommen war. Auf dem Speicher wandte sie sich ihm zu und suchte Schutz an seiner Brust.
    »Ich bin ein böser, starrköpfiger Mensch«, flüsterte sie. »Ich habe ihn gestern nicht um seinetwillen verhauen. Ich tat es, weil ich wütend auf ihn war, und Gott hat ihn mir genommen, um mich zu strafen.«
    Er entblößte sein Herz von allem, außer dem großen Ansturm neuer, beschützender Liebe, die er für die zusammengekrümmte Frau in seinen Armen fühlte.
    »Unsinn, mein Liebes«, sagte er. Er tröstete sie, streichelte ihr Haar und legte seine Wange an ihre Stirne. »Wir haben ihn ja noch gar nicht gesucht.« Es hatte keinen Zweck, mit ihr über Gott zu streiten, das wußte er. Sein leichter Rationalismus hatte Ruths Glauben an einen unbarmherzig gerechten Gott nie zu erschüttern vermocht. »Wir wollen die Polizei benachrichtigen«, fuhr er fort. »Die Polizei kennt alle möglichen Mittel und Wege, verlorengegangene Personen aufzuspüren.«
    Er führte sie hinunter und setzte sie im Wohnzimmer in den Schaukelstuhl.
    »Ruh ein bißchen aus«, riet er ihr. »Du hast den ganzen Tag angespannt gearbeitet, dich aufgeregt und überhaupt nichts gegessen.«
    Dann rief er die Polizei an.
    Es erschütterte ihn ziemlich, als er Hals Aussehen schildern mußte. Nie hatte er seinen Sohn so klar gesehen … »Groß für sein Alter, rötlichbraunes Haar und braune Augen, Sommersprossen über der Nase, rote Wangen und volle Lippen …« Fast hätte er hinzugefügt: ›Wie seine Mutter‹, aber er zügelte sich.
    Seine Lippen zitterten, als er zu Ruth zurückkehrte. Sie hatte die Familienbibel auf dem Schoß und starrte darauf.
    »William!« rief sie. »Er hat etwas in die Bibel geschrieben.«
    Er trat zu ihr und blickte über ihre Schulter. Und da standen in Hals kindlicher Schrift unter dem Datum seiner Geburt diese Worte:
    »Verließ sein Elternhaus am 13. Juli 1913.«
    »Ich nahm die Bibel, um darin Trost zu suchen«, schluchzte Ruth. »Und das hat sich daraus ergeben!«
    Das schwere Buch glitt zu Boden, und sie weinte laut. Und er kniete neben ihr und hielt sie umschlungen, indes sie weinte.
    Einen Monat lang durchsuchte die Polizei die Gegend und den Staat nach einem braunhaarigen, braunäugigen Knaben. Sechs Monate lang und dann ein Jahr lang suchte man, aber er wurde nicht gefunden.
    William ging keine Stunde von Ruth fort. Wenn er malte, stieg er den Hügel hinauf, und sah er sie dann nicht aus der Küche kommen und mit der Schürze winken, so begab er sich wieder hinab und schaute überall im Hause nach, bis er sie fand.
    »Wie geht es dir, Liebste?« fragte er etwa.
    »Oh, gut, William«, antwortete sie immer ruhig.
    Er wußte natürlich, daß sie damit meinte, es gehe ihr so gut, wie es den Umständen nach möglich sei, solange Hal noch nicht gefunden war. Insgeheim befürchtete William, und bisweilen glaubte er auch, daß Hal tot sei, doch äußerte er dies Ruth gegenüber nie. Sie sprach von ihm stets als von einem Lebenden. Selbst in der Tiefe ihres Herzens rechnete sie nicht mit der Möglichkeit, daß er tot sein könnte. Sie hielt das Zimmer für ihn bereit, sonnte das Bett, wusch von Zeit zu

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