Eine Liebesehe
hin. »Geht das nicht?«
Sie sah so schön aus, wie sie da vor ihm saß, von unten von der Kerze beleuchtet. Er bückte sich, packte sie und riß sie mit festem Griff an sich.
»Ich habe das alles nachgerade satt«, sagte er. »Es wird Zeit, daß du dich ein bißchen um mich kümmerst.« Er fühlte ihre Hand an seiner Wange, am Halse. »Was glaubst du eigentlich, wozu ich dich geheiratet habe?« Er küßte sie heftig und doch zart.
»Ich weiß nicht«, antwortete sie halb lachend.
»Nicht wegen der Bälger«, sagte er, »nur um meinetwillen …«
Eine Weile preßte er die Lippen fest auf ihren Mund. Dann hob er den Kopf und schüttelte Ruth leicht. »Ich will eine Frau, die mein Weib ist«, sagte er.
»Was wäre dann mit den Kindern?«
Er lachte sie an. »Was hat das mit dir und mir zu tun?« versetzte er und ging wieder hinunter.
Gerade das, dachte sie, indes sie allein auf dem Speicher kniete, war der Unterschied zwischen Mann und Frau. Die Frau fühlte sich verantwortlich. Angenommen, sie kümmerte sich nur um William, wer sorgte dann für die Kinder und für den Hof? Aber um den Hof mußte sie sich bloß kümmern, weil William es nicht tat. Hätte sie Henry geheiratet, so brauchte sie sich um den Hof nicht zu kümmern, nur um Henry. Henry hätte jedoch ebenfalls gewünscht, daß sie in erster Linie für ihn da wäre, und das hätte sie nicht gekonnt.
›Ich bin froh, daß ich einen Mann geheiratet habe, den ich an erster Stelle sehen möchte‹, dachte sie. ›Er muß schrecklich sein, wenn man dazu gezwungen ist, ohne es zu wollen.‹
Als sie in die Küche hinunterkam, war sie grundlos gegen Hal gereizt, der untätig neben dem Herd saß. Sie sah William draußen auf dem Rasen auf und ab gehen und die abendliche pfeife rauchen. Seine Gestalt hob sich klar vom Abendhimmel ab, an dem die untergegangene Sonne nachglühte.
»Zünde im Wohnzimmer für Vater das Licht an«,sagte sie. »Draußen wird es feucht, und wenn er Licht sieht, kommt er herein.«
Die beiden Mädchen gingen zu Bett. Ob ein Gespräch in Gang kam oder nicht, das hing von Jill ab. Wenn sie anfing, entstand eine Unterhaltung. Schwieg sie, so zog Mary sich wortlos aus, wobei sie ab und zu schläfrig gähnte. An diesem Abend verhielt Jill sich still. Sie entkleidete sich hurtig, wusch sich das Gesicht, putzte die Zähne, steckte ihre langen, um den Kopf gelegten Zöpfe ab und rollte ihr rotes Haarband auf. Dann kletterte sie ins Bett und deckte sich zu. Mary war weitaus langsamer. Jill warf einen Blick auf die mollige, hübsche Gestalt ihrer Schwester. Mary war verliebt in Joel Fasthauser, den Zweitältesten von Henrys Söhnen. Das wußte Jill, weil Mary es ihr gesagt hatte. Mary wartete auf seinen Heiratsantrag. Über diesen Antrag hatten sie miteinander gesprochen und gerätselt, wann und wie er stattfinden würde.
»Mary, du mußt es mir erzählen, wenn Joel um dich anhält!« hatte Jill ausgerufen. »Du darfst nicht so niederträchtig sein und es mir verheimlichen, nachdem wir so viel darüber geredet haben!«
Mary aber, über und über rot, hatte sich geweigert, das Versprechen abzulegen.
»Vielleicht mag ich nicht einmal dir genau erzählen, was er sagt«, hatte sie entgegnet.
»Das ist einfach gemein«, hatte Jill erklärt.
So hatte sie es bis jetzt empfunden. Heute abend jedoch verstand sie es irgendwie. Denn sie hätte Mary nichts von diesem Spaziergang mit ihrem Vater erzählen können, hätte ihr nicht sagen können, was sie fühlte, nicht gerade ihrem Vater gegenüber, sondern irgend jemandem gegenüber, jemandem, den sie noch nie gesehen, der ihrem Vater glich, aber viel jünger, im übrigen jedoch genau so wie er war. Ein zartes, tiefes Verlangen und Streben, besser, feiner, gescheiter und schöner als jetzt zu sein, erfüllte ihr ganzes Wesen.
›Nie, niemals könnte ich einen solchen Mann wie Joel heiraten‹, dachte Jill. Aber wie hätte sie Mary das sagen dürfen?
Für William und Ruth nahm der Krieg in Hal körperliche Gestalt an. William war sich dessen bewußt, Ruth hingegen nicht. Die Verwandlung vollzog sich am letzten Tage seines Aufenthalts im Elternhaus. Sie hatten Hal nie in Uniform gesehen. Daheim trug er stets ein altes blaues Hemd mit offenem Kragen und Hosen, deren ursprüngliche Farbe längst nicht mehr zu erkennen war. Das rotbraune Haar war ebenso struwwelig wie in seiner Kindheit, und im Hause lief er barfuß herum. So saß er auch am letzten Tage bei Tisch. Niemand konnte ihn sich anders
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