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Eine Liebesehe

Titel: Eine Liebesehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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vorstellen, diesen schlaksigen, lächelnden, unbekümmerten jungen Mann, dem es Spaß machte, seine Schwestern und sogar seine Mutter zu foppen und zu zwicken. William mußte einen Anfall von wirklicher Wut in sich unterdrücken, als Hal sich vorlehnte und seine Mutter an ihrem kleinen, anliegenden Ohr zupfte.
    »Laß Mutter in Ruhe«, sagte William unvermittelt.
    Alle blickten ihn erstaunt an.
    »Das ist keine Art und Weise, mit deiner Mutter umzugehen«, fuhr William mit ungewöhnlicher Strenge fort. Er bemerkte in Ruths Miene dieselbe Verwunderung wie in den Gesichtern der Kinder. »Ich hätte mir im Traum keine solchen Vertraulichkeiten mit meiner Mutter gestattet.«
    »Mir macht das nichts«, sagte Ruth verblüfft. »Ich weiß, wie Hal es meint – er meint es gar nicht schlimm.«
    »Stimmt, Mama«, lachte Hal. »Ich finde, du hast ganz recht.«
    Er sprach in seinem lässigen Tone, seine starke Stimme klang liebenswürdig. Diese Stimme traf William wie ein Schlag. Ehe Hal fortging, hatte er die brüchige, unausgeglichene Stimme eines Halbwüchsigen gehabt. Diese Unsicherheit hatte fast rührend gewirkt. Jetzt lag in der starken, derb tönenden Stimme keine Unsicherheit mehr. Es war die Stimme eines Mannes, und zwar eines Mannes, William wußte es, der ihm immerdar fremd sein würde.
    Nach dem Mittagessen begab Hal sich in sein Zimmer, um die Uniform anzuziehen. In einer knappen Stunde mußte er das Haus verlassen, um in Hasser's Corners an einer Parade teilzunehmen. Zwei andere junge Männer zogen mit ihm in den Krieg, ein Freund von Hal sowie ein Bekannter dieses Freundes. Der eine hatte den andern überredet, sich freiwillig zu melden.
    »Die drei Musketiere, was?« hatte William leutselig bemerkt, als er davon hörte.
    »Gewiß«, hatte Hal darauf mit ausdruckslosen Augen erwidert.
    William hatte seine unwillkürliche Gereiztheit unterdrückt. Hal, der nie ein Buch las, der nie auch nur nach einem Buche fragte, der nicht einmal einen Blick auf die von William im Hause aufgestellten Bücherschränke geworfen hatte, kannte ›Die drei Musketiere‹ nicht. Warum sagte er das nicht? Er hatte die ganze bäuerliche Entschlossenheit, sich nichts zu vergeben.
    William hatte sich von ihm abgewandt. »Das ist ein Buch, Hal. Daher nehme ich an, daß du keine Ahnung hast, wovon ich rede.«
    »Ich dachte es mir«, hatte Hal erwidert, ohne etwas einzugestehen.
    Keiner von ihnen war auf jenen Hal vorbereitet, der jetzt aus seinem Zimmer kam.
    Ruth machte nach dem Abwaschen in der Küche Ordnung. Jill war hinaufgegangen, und Mary kehrte die Krumen auf dem Fußboden des Eßzimmers zusammen. William stand in der halb offenen Haustür und prüfte die Eigenschaft des Nachmittagslichtes über dem Rasen, das er gerade im Bild festhalten wollte.
    Die Tür öffnete sich, und Hals Stimme erklang: »Na, wie gefalle ich euch?«
    Alle drehten sich zu ihm herum, und William erblickte seinen Sohn, wie er ihn noch nie zuvor gesehen – einen fremden jungen Mann, adrett, elegant, scharf umrissen in seiner neuen Uniform, mit glatt gebürstetem Haar, breiten Schultern, einem gesunden Gesicht, das braungebrannt und sauber war.
    »O Hal!« rief Ruth.
    Sie trat zu ihm; die strahlenden blauen Augen ruhten mit warmem Glanz auf ihrem Sohn. Sie konnte sich nicht enthalten, ihn da und dort zu berühren, um sich zu vergewissern, daß alles stimmte, obwohl sie wußte, daß nichts zu wünschen übrigblieb. Dann legte sie die Hände auf seine Schultern und schaute ihm in die Augen. Er war einen Kopf größer als sie.
    »Sei ein guter Junge, Hal«, bat sie. Ihre Stimme bebte. »Denk an alles, was ich dir gesagt habe, und sei brav.«
    »Gewiß, Mama«, antwortete er. Er bückte sich und schmiegte seine Wange an die ihre. »Du riechst so süß, Mama – genau wie immer. Ich erinnere mich aus meiner Kindheit daran. Damals schnupperte ich oft an deinen Kleidern, die im Schrank hingen.«
    »Ach, Hal, wirst du auch daran denken, brav zu sein?« stöhnte sie.
    »Gewiß, Mama.«
    Und plötzlich konnte William es nicht mehr ertragen, mitansehen zu müssen, wie Ruth diesen jungen, kräftigen Mann liebte, der ihr näherstand als irgendein anderer, weil er ihr Blut in den Adern hatte.
    Das war der Grund, warum Männer Eifersucht auf ihre Söhne empfanden, ging es ihm jetzt auf, weil die Söhne blutsmäßig dem Herzen der Mutter näherstanden, während ein Gatte immer ein Fremder blieb. Und Blut war das Band der Frau.
    Er trat zu Ruth und zog sie sacht an sich.

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